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Archiv-Artikel

jenni zylka über Sex & Lügen Summer sucks

Wer mag schon behaarte Zehen und kuschelnde Parkbankpaare

Igitt, schon wieder Sommer. Himmel, hilf! Obwohl es zugegeben ein alter Tirolerhut ist, sich partout über Dinge aufzuregen, die alle anderen toll finden, werde ich das im Folgenden tun. Denn ich kann den Hype um diese sekkante Jahreszeit schlichtweg nicht begreifen. Was spricht denn schon für den Sommer?

Für meine Lieblingsjahreszeit Herbst spricht einiges, zum Beispiel dass man sich sowohl draußen als auch drinnen hervorragend aufhalten kann, draußen funkelt die Luft, der Mond scheint die ganze Nacht und fast den ganzen Tag, der Wind bläst einem um die Ohren, eine Hand voll Wetterhexen plaudert launig: „Wann treffen wir drei wieder zusamm’?“ – „Um die siebente Stund, am Brückendamm.“ – „Am Mittelpfeiler.“ – „Ich lösch die Flamm“ – „Ich mit.“ – „Ich komme vom Norden her.“ – „Und ich vom Süden.“ – „Und ich vom Meer.“

Und drinnen, gute Stube, ist es gemütlich und schnuckelig warm, nur nicht bei Idioten mit freiwilliger Ofenheizung (wegen der „anderen“ Wärme). Man kann Ingwertee mit Honig trinken, nicht geschmolzene Schokoladenkekse essen, schon früh mit herbstlichem Rotwein losschickern, und wenn man am Abend noch mal raus möchte, zieht man einen praktischen und kleidsamen Übergangsmantel über die schönen Herbstklamotten. Und wenn es regnet, freut man sich. Falls man eine Blume ist. Im doofen Sommer dagegen hat man prinzipiell zu viel oder zu wenig an. Adelig-blasse Beine staken erschrocken unter kurzen Buxen und Miniröcken hervor, aber wenn man sich billigen Selbstbräuner kauft, kriegt man Hepatitisflecken am Knie und den Fersen. Man muss in der Klamottenauswahl bei langweiliger Baumwollkleidung bleiben, denn die schönen Polyestersachen stinken schon, wenn man sie nur anguckt, nach Zicklein. Um einen rum räkeln sich fremde, teilweise behaarte Zehen im Sonnenlicht, und ich glaube, ich habe schon des Öfteren festgestellt, dass die Zehen das sind, was ich von einem fremden Menschen als allerletztes sehen möchte.

Den ganzen Tag hört man Kinder schreien, nicht nur in Berlin-Prenzlauer Berg, sondern überall, und plötzlich entdeckt man jede Menge schlimme Tribal-Tattoos an seinen Mitmenschen, die die sich später, mit vernünftigerem Kopf, für teures Geld weglasern lassen werden müssen. Bei dem Versuch, sich ein paar Sommersprossen zu züchten (der wirklich einzige Vorteil dieser Jahreszeit), holt man sich fast den Tod, weil die Supernova da oben einen verbrennt. Die Kastanien oder wie diese Bäume heißen, spritzen in einer Tour verräterische Flüssigkeiten auf einen, wenn man unter ihnen auf dem Fahrrad durchradelt (sie machen das übrigens auch bei Männern, habe ich festgestellt).

In Warschau, wo ich dem beginnenden Sommer ein paar Tage zu Entrinnen suchte, wird dem merkwürdigen Baumspritzen noch eins draufgelegt: In einem Park sah ich, wie eine Warschauerin einen riesengroßen, räudigen, lefzenhochziehenden Hund mit einem Hundekamm enthaarte, sein ausgekämmtes weißes Läusewohnsitzfell flog anschließend durch die Rasenanlagen. Danach bemerkte ich dieses fliegende weiße Fellgewöll in regelrechten Schwärmen durch die Städte wimmeln, es kam sogar mit mir bis nach Deutschland und verdreckt jetzt Berlin.

Und kommen Sie mir bloß nicht damit, dass das irgendwelche Löwenzahnsporen sind.

Wenn ich im Sommer jemanden besuchen möchte und laut singend auf meinem Fahrrad eine Straße entlangtrete, habe ich danach mehr Insekten mit meinem offenen Mund aufgefangen als ein Moskitonetz in zwei Jahren Nutzung im mittelafrikanischen Dschungel. Im Herbst dagegen ziehen sich die Insekten schön in den Süden zurück, oder nein, das waren wohl eher die Vögel, aber die sind auch so ein Grund für meine Sommeraversion: Die Vögel zwitschern im Sommer lauter, als die als Druckerei getarnte Flugzeugwerft in meinem Hinterhof Krach macht. Und, das ist mir ebenfalls in Warschau aufgefallen, sie zwitschern auf der ganzen Welt Polnisch: „Tschieptschieptschiepkwaśniewski“.

Im Sommer Liebeskummer zu haben oder rollig zu sein, ist ebenfalls traurig, denn auf den Milliarden von Grillabenden auf umliegenden Balkons, in Parks und Hinterhöfen wird gekuschelt und gestreichelt und ein einig Pärchentum demonstriert, dass es nur so eine Art ist: „Hatschi!“ – „Oh Gott, du Arme, dein Heuschnupfen! Warte, ich hol die deine Histamine.“ – „Bringst du mir ’ne Wurst mit?“ – „Klar!“ – „Danke.“ – „Bitte.“ – „Danke.“

Im Winter, Frühling und Herbst dagegen nuckeln die Menschen, die sich draußen aufhalten, bevorzugt an Tetrapakweinen und sind allein. So wie es sich gehört.

Sommer sucks. Glücklicherweise bleibt er in Deutschland ja eh nur ein paar Tage.

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