in fußballland : Geist der Utopie
CHRISTOPH BIERMANN über Analogien im Fußball und dadurch entstehende Kurzschlüsse
Eigentlich bin ich kein großer Freund von Politik-Fußball-Analogien. Günter Netzer beseelt vom Geist der Utopie den langen Ball schlagen zu lassen, das hatte seine Zeit, doch hat sich im Laufe der Jahre das Vergnügen daran ebenso verloren, wie der Reiz von Pop-Fußball-Analogien verblasst ist, auch wenn es nach wie vor eine hübsche Idee meines Kumpels Ralf war, davon zu sprechen, dass die CD das Sitzplatzstadion des Pop ist. Ganz gehen derlei Analogien nie auf, wobei genau die Unschärfen den Spaß an der Sache ausmachen. Andererseits besteht die Gefahr verkrampfter Weltendeutung, wenn man auf Teufel komm raus versucht, die löchrige Defensive der DFB-Elf mit dem Sozialabbau zusammenzuschrauben oder im kalifornischen Bundestrainer die Globalisierung zu sehen.
Trotz all dieser Vorbehalte drängte sich mir neulich der Kurzschluss zwischen dem VfL Bochum und Deutschland auf, wobei es mit der These „Gerhard Schröder ist der Peter Neururer der Politik“ ziemlich wackelig anfängt. Neururer ist trotz des von ihm eifrig gepflegten Ruhrgebietsimages ein bekennender CDU-Wähler; Schröder hingegen ist Fan von einem Haufen Klubs, aber seine Vorliebe für den VfL hat er bislang verborgen. Zugleich ist Schröder aber nicht nur „Autokanzler“, sondern auch „Medien-“ oder „Fernsehkanzler“ gewesen, was man auf seinem Feld auch von Neururer sagen kann. Auch der Trainer bedient zuvörderst Glotze und Bild, hat aber andere Journalisten nie ohne einen hübschen Satz gehen lassen, und sei es nur, dass ihm seine Auslassungen so wortreich verschlungen gerieten, dass er nicht mehr herausfand.
Verdrechselte Formulierungen und hübsche Bonmots schießen aber keine Tore, und so wie Schröder bei steigender Arbeitslosigkeit beharrlich ihren Abbau versprach, kündigte Neururer nur noch Erfolge an, die nicht kamen. So stieg der VfL in die zweite Liga ab, und Neururer war nicht mehr im Amt. Er war zwar ohne Oderflut und Irakkrieg durch seine fast drei Jahre in Bochum gekommen, verließ sich aber oft ebenfalls mehr auf sein intuitives Geschick als auf Feinarbeit.
Was können wir nun von Neururers Nachfolger Marcel Koller über Angela Merkel erfahren? Der Schweizer Trainer ist zwar nicht ohne Ausstrahlung, ein Mann des großen Wortes ist er aber nicht. Statt auf genialische Intuition verlässt er sich auf planvolle Arbeit. Liefert er damit die Blaupause für die erste Kanzlerin des Landes? Wäre das so, würde dieses Land zunächst einen überraschend deutlichen Erfolg zu feiern haben – Bochums 4:0-Auswärtssieg in Saarbrücken –, um sich dann gleich mal vom Osten frustrieren zu lassen (2:2 gegen Cottbus durch ein Ausgleichstor in der Schlussminute). Am dritten Spieltag würde es für Deutschland nach Ahlen in Westfalen gehen und dann wäre schon wieder der Osten dran (Hansa Rostock).
Irgendwie trägt der Satz „Marcel Koller ist die Angela Merkel des deutschen Fußballs“ hinten und vorne nicht. Hilfreicher ist da schon der Blick auf Neururers konsequent bestrittenen Lebensweg. Er ist nun so genannter „DSF-Trainer“, coacht aber nicht etwa die Angestellten des Sportfernsehsenders, sondern ist eine Art übergeordneter Experte in Fußballdingen, der in einer Fülle von Sendungen zum Einsatz kommen kann. Ob er in dieser Funktion noch für Garagentore wirbt, weiß ich nicht. Einen ähnlichen Weg könnte man sich auch für Gerhard Schröder vorstellen, wobei etwa „VOX-Politiker“ nicht halb so gut klingt wie „DSF-Trainer“ und man dem Kanzler auch zum Moderator ein eigenen Talkshow machen könnte. Es müsste vielleicht gar nicht eine aus dem ganz schweren Fach sein, sodass Schröder zur ersten Sendung Peter Neururer als Gast einladen könnte.