in der taz vor 15 jahren : auflösung der ddr
Das war es dann wohl. Fünf Monate hatten die Bürger der DDR Gelegenheit, den Segen einer demokratisch gewählten Regierung zu empfangen. Zeit genug, um festzustellen, daß diese Demokratie offenbar auch nichts anderes ist, als frei entscheiden zu können, wer einen denn nun verarschen darf und wer nicht.
Und doch kann die letzte Regierung der DDR kein Vorwurf treffen. Verhalten sich doch die Männer dieses Staatsauflösungsteams in Ost-Berlin nicht würdevoller als der Rest des Volkes zwischen Oder und Elbe. Die frei gewählten Nachlaßverwalter der „Revolution“ plagt wie Millionen andere DDRler auch die Angst, durch den deutsch-deutschen Einigungsprozeß ins Aus geschoben zu werden. Denn egal, ob Rechtsanwalt oder Literaturtheoretiker – mit dem „made in GDR“ im Zeugnisheft bleibt man im künftigen Großdeutschland ein zweitklassiger Provinzintellektueller. Also verhalten sich die DDR-Politmatadore nicht anders als die Ex-HO-VerkäuferInnen bei Aldi und Edeka: politisches Überleben durch gnadenlose Assimilation.
Doch inzwischen haben selbst die mit Politamateuren großgewordenen DDR-Bürger von dieser Schmierenkomödie genug. Zu frisch ist die Erinnerung an die dilettantischen Versuche der alten Führung, sich das Leben zu versüßen, während das Restvolk eingemauert die Klappe zu halten hatte. Im Wettlauf in die neudeutsche Zukunft ist der vielbeschworene DDR-Solidaritätsgedanke schon längst baden gegangen und selbst für den theatralischen Überlebenskampf der Nachwendepolitiker nicht mehr zu aktivieren. Jeder ist sich selbst der nächste.
André Meier, 18. August 1990