: 'il manifesto‘: Unbeirrbarr auf der falschen Seite
Italiens frechste Tageszeitung: Ein selbstverwaltetes Unternehmen seit 20 Jahren auf Erfolgskurs/ Die echten Marx-Adepten ■ Aus Rom Werner Raith
Daß sie die Sache zuerst für „eine ziemliche Schnapsidee“ hielten, geben die Werbeprofis der Konkurrenz von der linksliberalen La Repubblica bis zur industrienahen La Stampa heute unumwunden zu. Die ehemalige KP-Zeitung L'Unità maßregelte oberlehrerhaft: „Wieder mal typisch!“
il manifesto, Auflagenzwerg (zwischen 45.000 und 60.000 Tagesverkauf) mit großer Leserwirkung (eines der vier meistzitierten Blätter Italiens), hatte sich zum 20. Geburtstag den Slogan „Zwanzig Jahre auf der falschen Seite“ verpaßt. Der Spruch trifft, das geben auch die Kritiker zu, ziemlich genau das, was diese Zeitung ausmacht: Den unbändigen, unzähmbaren Trotz, das Gegen-den-Strom- Schwimmen, das hartnäckige Bestehen auf Wahrheit und Transparenz, aber auch auf Parteinahme und eigener Meinung. Mitunter zum eigenen Nachteil.
Aus der Taufe gehoben wurde das zunächst monatlich erscheinende Blatt von einer Gruppe, die sich während des Rechtsrucks der Kommunistischen Partei innerhalb der KP bildete, dann von dieser hinausgedrängt wurde. Innerhalb weniger Jahre etablierte sich il manifesto derart bei Intellektuellen, Gewerkschaftern, Studenten, daß automatisch der Schritt zur Tageszeitung folgte. Ende der 70er Jahre war dann schon Professionalität zu spüren: Immer mehr Hintergrundartikel erschienen, neben Meinungsartikel traten Reportagen, Features und Korrespondentenberichte.
Daß es sich um ein selbstverwaltetes, egalitäres Unternehmen handelte, war bis in die 80er Jahre schon auf der Titelseite zu erkennen. Unter der Kopfzeile „Diese Zeitung wurde produziert von...“ waren alle aufgelistet, die an il manifesto mitwerkelten, von den Schreibern bis zur Technik. Dieses unkonventionelle Impressum fiel freilich dem neuen Layout mitte der 80er Jahre zum Opfer. Nicht jedoch die zweite „Bandiera“, die seit jeher il manifesto ziert: „quottidiano comunista“, kommunistische Tageszeitung steht unter der Kopfzeile. Und das soll auch so bleiben.
„Warum sollten wir das ändern?“ fragen Rossana Rossanda und Luigi Pintor, beide im Pensionsalter, wie auch der seit zwei Jahren amtierende Chefredakteur Sandro Medici. „Haben wir etwa etwas zu verbergen?“
il manifesto rühmt sich nicht zu Unrecht, daß es Bewegungen und Tendenzen schon denunziert hat, als andere noch die Augen davor verschlossen. Insbesondere jene, die das Wort „comunista“ bis vor kurzem auch noch auf dem Panier hatten: Gemeint sind die Kollegen von L'Unità. Der Untertitel „Zeitung der Kommunistischen Partei“ ist heute ersetzt durch ein mickriges „Von Antonio Gramsci gegründete Zeitung“.
„Zu Recht getilgt“, frozzelt Pintor, Ex-KPler und heute Linksunabhängiger Abgeordneter. „Die haben ja längst allem abgeschworen, was kommunistisch sein könnte.“ Tatsächlich standen die Unità-Macher im Meinungsteil fast völlig unter Kuratel des ZK — und machten „jede Dummheit mit, die die von sich gaben“ (Pintor). Was die Journalisten von il manifesto wiederum in der Meinung bestärkt, daß seit jeher sie die echten Marx-Adepten waren. Früh erkannten sie die Korrumpierung der einst als „Partei der sauberen Hände“ gerühmten KPI, die Schweinereien des Großen Bruders UdSSR, die Fehlentwicklungen linker Regime in aller Welt — während Regierung und KP Italiens noch einträchtig den dortigen Machthabern in den Hintern krochen.
Mancher Nackenschlag gegen die ungeliebten Brüder von der KPI traf die Falschen. Den Parteilinken Pietro Ingrao beispielsweise entdeckte il manifesto auch erst, als er während der Umtaufaktion der KP in „Demokratische Partei der Linken“ standfest bei Marx blieb. Wie auch immer: Das „comunista“ im Blattitel steht bei il manifesto für Unbestechlichkeit und Transparenz.
Das alles zahlt sich in bar aus. Die Selbstverwaltung ermöglicht es, daß die Zeitung während der häufigen Pressestreiks weitererscheinen kann und dann schon mal 150.000 Exemplare am Tag verkauft.
Auf Dauer freilich hält auch daswieder nicht, häufiger befand sich il manifesto am Rande der Existenz. Mit dem Ende der staatlichen Zeitungsförderung drohte auch il manifesto schon vor Jahren das endgültige Aus. Professionalisierung und Werbemaßnahmen waren gefragt und, vor allem, Geld.
Mit alldem taten sich die Gründungsmitglieder einige Zeit recht schwer. Versuche von Kollektivmitgliedern, Gewerkschaften oder kleinere Zeitungsverleger zum Investieren zu bewegen, scheiterten am entschiedenen Njet! der Gallionsfiguren. Zeitweise kam es zu Zerreißproben mit allerlei unappetitlichen Abtrittsdrohungen der charismatischen Oldtimer. Da half, wieder einmal, die politische Lage. Zuerst der Ökologie-Boom, den il manifesto zwar spät, aber immer noch früher als alle anderen Zeitungen entdeckte, der Umschwung im Ostblock mit seinen täglichen Neuigkeiten, der drohende Verlust der Orientierung in der Linken, die Spannungen im Nahen Osten.
Zumal il manifesto inzwischen besonders spürnasige und mutige Mitarbeiter in ihren Reihen hat. Ob während des Zusammenbruchs der albanischen Führung, ob in China bei Tienanmen oder im Irak-Krieg: Stets waren il manifesto-Korrespondenten die ersten und oft einzigen italienischen Reporter am Ort.
Zwischenzeitlich arbeitete eine kleine Crew entschlossener Neuerer an der Professionalisierung und am äußeren Profil der Zeitung. Rossanda, Pintor und Parlato bilden nun eine Art Garantie-Gremium, das für die Weiterführung der ursprünglichen politischen Linie geradesteht. Die jüngere Manager-Garde um Sandro Medici besorgt die Modernisierung.
Und die kann sich sehen lassen. Eine Public-Relations-Firma verpaßte dem Blatt ein ansprechenderes Design mit klaren Lettern auf der Vorderseite, die Inhalte wurden wesentlich übersichtlicher strukturiert. Der Mut zur Entscheidung für das Tagesthema wird deutlich auf Seite zwei, wo mitunter nur ein einziges großes Interview oder eine Reportage steht.
Höhen und Tiefen durchlaufen die il manifesto-Macher trotz allem noch immer. In der Jahresmitte, einige große Investitionen mußten erst abbezahlt werden, hinkte die Gehaltsabteilung mit der Auszahlung des am nationalen Durchschnittseinkommen orientierten Gehalts fast drei Monate hinter der Fälligkeit her. Doch kaum jemand verläßt das Blatt. Die Lust, an der widerborstigen Zeitung mitzumachen, überwiegt — auch wenn das Gehalt mal nicht ankommt und andere Blätter mit attraktiven Abwerbeangebote locken.
Vielleicht auch in dieser Hinsicht „auf der falschen Seite“. Das aber unbeirrbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen