hürdenlauf : Gedränge im neuen Wohnzimmer
61.150 Menschen tummeln sich beim Berliner Leichtathletikfest Istaf und geben eine prächtige Bewerbungsunterlage für die WM 2009 ab
Feel history, see visions. So steht es geschrieben auf dem Plastikbierbecher. Was die Geschichte angeht, gibt es bekanntlich einiges zu erfühlen im neuen alten Berliner Olympiastadion, das sich mit dem 63. Istaf am Sonntag nur zu gern als kompetenter Gastgeber für die Leichtathletik-WM in fünf Jahren zeigen wollte. Die Visionen, das sind einerseits die Kunststoffbahnen in einem leuchtenden Hertha-Yves-Klein-Blau, das zumindest allen weißen SportlerInnen, die sich auf ihr abmühen, eine irgendwie kranke Hautfarbe verleiht. Zum anderen sollen es Rekorde sein, auch Zuschauerrekorde, wie die stolzen 61.150 Menschen, die dazu beitrugen, die alte Höchstmarke von 53.000 zu brechen.
Veranstalter und Sponsoren waren glücklich: Ein voller Erfolg sei das Fest gewesen. Auch wenn Heike Drechslers Abschiedssprung nicht gerade nach hinten, aber auch für ihre Verhältnisse nicht unbedingt nach vorne losging – die 39-Jährige hüpfte auf bescheidene 5,92 Meter. Man hätte ihr ein wenig von dem Rückenwind gegönnt, der sie vor zwölf Jahren in Sestriere auf sagenhafte 7,63 Meter trug. Damals wurde der Sprung nicht anerkannt, am Sonntag, im sonnig-kühlen, aber eher gegenwindigen Berliner Stadion konnte sie sich nur beim „fantastischen Publikum“ bedanken und den Hut nehmen. Das Publikum ist ein wichtiger Faktor beim Poker um weitere Wettkämpfe – es muss erscheinen, möglichst vollzählig, es muss gut gelaunt sein, es darf nicht nur die eigenen SportlerInnen anfeuern, und es muss im entscheidenden Augenblick die Klappe halten. Am Sonntag hatte man vorsichtshalber eine ganze Masse im berühmten Hertha-Yves-Klein-Blau gewandete Gute-Laune-Kinder eingeladen, die mit winkenden Fähnchen die Eröffnungszeremonie begleiteten, später die Ränge schön voll und bunt hielten, aber leider auch den Hürdensprintern ein wenig ins Starten kicherten.
Den eine Million US-Dollar schweren Jackpot der Golden League teilten sich Christian Olsson aus Schweden und Tonique Williams-Darling von den Bahamas geschwisterlich auf: Der Dreispringer und die 400-Meter-Läuferin, die mit 17,45 Metern und 49,07 Sekunden erneut alle in ihren Disziplinen abhängten, wollen die Penunzen ganz unterschiedlich durchbringen. Olsson steht auf schnelle Autos, und Williams-Darling möchte ihre Familie unterstützen. Dass ihr guter Lauf mit der „schnellen blauen Bahn“ zusammengehangen hatte, diese Berlin-freundliche Aussage konnte man der Läuferin auch noch entlocken. Und solche Bonmots im Zusammenhang mit einem Goldsieg kommen der Berlin-Bewerbungsmappe für die Leichtathletik WM 2009 gerade recht. Istaf-Geschäftsführer Gerhard Janetzky nennt das Stadion jedenfalls jetzt schon zärtlich das „neue Wohnzimmer der deutschen Leichtathletik“ und hofft auf eine reelle Chance bei der Austragungsort-Entscheidung im Dezember.
Am Ende konnte man noch dem freundlichsten Zehnkämpfer aller Zeiten, Frank Busemann, zugucken, der seinen öffentlich geschundenen Körper als Abschiedsgeste noch einmal über die 1.500 Meter quälte. Er jagte in 4:27 Sekunden über das Quietscheblau, und „das war wirklich kein Spaß“, sagte der Silbermedaillengewinner von Atlanta mit seinem unverwüstlichen Busemann-Lachen. Er muss es jetzt ja auch nie wieder tun. JENNI ZYLKA