heue in bremen : „Jungen als Betroffene wahrnehmen“
Eine Fachtagung beschäftigt sich mit der meist ausgeblendeten Gewalt gegen Jungen
taz: Herr Tiemann, Sie reden heute über Jungen als Mobbingopfer in der Schule – gibt es die überhaupt?
Rolf Tiemann, Bremer Jungenbüro: Ja natürlich. Wir schätzen, dass etwa jeder zehnte Junge im Lauf seiner Schulzeit Erfahrung mit Ausgrenzung oder Mobbing macht.
Wer mobbt die Jungen?
Andere Jungen in der Regel, aber auch andere Mädchen.
Bei Jungen assoziiert man meist Täter, nicht Opfer.
Auf diese Identifikation mit der Täterrolle möchten wir mit unserer Fachtagung aufmerksam machen. Es ist wichtig, dass Jungen endlich wahrgenommen werden auch als Betroffene von Gewalt und eben nicht nur als Täter. Faktisch ist es so, dass Jungen zwar die meisten Übergriffe und Taten begehen, aber sie sind auch am meisten von Gewalt betroffen.
Welche Themen werden Sie behandeln?
Im wesentlichen die Themen, mit denen wir bei unserer Beratungstätigkeit im Jungenbüro konfrontiert werden: Jungen als Betroffene von Mobbing, sexualisierte Gewalt gegen Jungen, Gewalt gegen Jungen mit Migrationshintergrund, häusliche Gewalt. Die Jungenberatung führen wir seit zwei Jahren durch, die Tagung ist der Abschluss des Modellprojekts.
Können Jungen darüber reden, dass sie Opfer von Gewalt sind?
Jungen fällt es sehr schwer, darüber zu reden, denn sie wissen, dass sie sich nicht als Opfer darstellen dürfen, wenn sie dazugehören wollen zu dem, was unter Männlichkeit verstanden wird.
Welche Bedeutung hat da das Jungenbüro?
Dadurch dass es uns als Beratungsstelle gibt, wird deutlich, dass es Gewalt gegen Jungen gibt. Es ist wichtig mit Jungen zu arbeiten, um sie in ihrer Vielfältigkeit wahrzunehmen.
Was erhoffen Sie sich von der Tagung?
Wir hoffen, dass ein befruchtender Austausch entsteht, denn wir berichten ja nicht nur von unseren eigenen Erfahrungen, sondern haben viele kompetente Leute aus Praxis und Wissenschaft aus dem Bundesgebiet eingeladen. Das Interesse an der Tagung ist so groß, dass sich 170 Teilnehmer angemeldet haben.
Interview: Christine Spiess