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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf Der Schienbeinschoner Gottes

FRITZ TIETZ über das sich stetig verkomplizierende Regelwerk des Fußballs, vor allem, was die angemessene Behandlung der Oberkleidung betrifft

Fritz Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport

Als Handspiel gilt im Fußball nicht zwingend nur die Ballberührung mit der Hand: „Hält ein Spieler zum Beispiel mit einem Schienbeinschützer in der Hand den Ball auf, so ist auf Handspiel zu entscheiden“, heißt es in der 27. Anweisung des DFB zur Fußball-Regel Nr. 12 („Verbotenes Spiel und unsportliches Verhalten“). Mit einem Schienbeinschützer in der Hand den Ball aufhalten? Das würde ich gern mal sehen. Wie da einer blitzschnell den Schoner unterm Stutzen hervorzieht, um damit den Ball zu stoppen oder gar ein Tor zu erzielen, was dann aber natürlich nicht gilt. Es sei denn, der Schiri merkt nichts, so wie er seinerzeit im WM-Viertelfinale 1986 Maradonas berühmtes Handspiel gegen England nicht bemerkte. Dann müsste man wohl vom „Schienbeinschoner Gottes“ sprechen.

Theoretisch denkbar sind natürlich auch andere Gegenstände, mit denen Bälle gespielt werden können. Schließlich ist es laut 27. DFB-Anweisung nur „zum Beispiel“ ein Schienbeinschützer, dessen Einsatz als Handspiel zu ahnden ist. „Zum Beispiel“ heißt demnach, dass man zum Beispiel auch nicht eine Eckfahne nehmen und mit ihr nach einem Ball stochern oder ihn mit Hilfe einer zufällig im Strafraum herumliegenden Bratpfanne ins Tor bugsieren darf; also mit der „Bratpfanne Gottes“, wie man wohl sagte, falls mal ein Schiri so ein Handspiel übersähe.

Von der vorbildlichen Eindeutigkeit dieser Handspiel-Regel weit entfernt ist leider ein neues Regelwerk, das seit dem 1. Juli gilt. Danach sieht ein Spieler, der beim Torjubel blank zieht, unweigerlich Gelb. „Das Ausziehen des Trikots nach einem Tor ist unnötig“, heißt es in einer Anweisung des International Football Association Board (IFAB). Die Begründung: Ein Trikot abstreifen, wegschmeißen, aufsammeln und wieder anziehen sei eine unsportliche Zeitverzögerung. Außerdem könne sich der Gegner provoziert fühlen. Und wenn gar ein Torschütze sein Trikot ins Publikum werfe, führe die Rauferei darum zu gefährlichen wellenartigen Massenbewegungen auf den Rängen. Auch wurden kulturelle Unterschiede in den Fifa-Mitgliedsländern geltend gemacht. So verletze ein entblößter Oberkörper möglicherweise das sittliche Empfinden islamischer Zuschauer, was allerdings Islam-Experten zurückweisen. Frauen ja. Denen sei es verboten, ihre Trikots zu lupfen. Gegen nackte Männerbrüste habe der Koran hingegen nichts einzuwenden.

Auch katholischerseits sind keine Einwände gegen halb entblößte Fußballerkörper bekannt. Die zuständige warme Bruderschaft im österreichischen St. Pölten hat bis jetzt jedenfalls nicht protestiert. Dafür haben zwei „Notgeile“, wie die Grünen-Politikerinnen Margareta Wolf und Evelin Schönhut-Keil in einem Internet-Forum bezeichnet wurden, die sofortige Aufhebung der Gelbstrafe für hautzeigewillige Fußballer gefordert. Gerade im Hinblick auf die steigende Zahl von weiblichen Zuschauern müssten sich Fußballer weiterhin ungestraft ausziehen dürfen. „So weit kommt das noch“, bezeterte das ein Teilnehmer besagten Forums, „und am Ende fordern dann die Schwulen, dass die Spieler auch noch ihre Dödel rausholen.“

Seine Freikörper-Bestimmung präzisierend, hat das IFAB mittlerweile verfügt, dass eine Gelbsanktion erst dann fällig ist, wenn das Jubeltrikot des Spielers Gesicht verdeckt. Doch da beginnt es bereits schwierig zu werden. Während Volker Roth, Vorsitzender im DFB-Schiedsrichterausschuss, diesen Passus so interpretiert, dass ein Spieler sein Leibchen höchstens noch bis zum Kinn lüften darf, will Ausschussmitglied Manfred Amerell die Pappe erst dann gezückt wissen, wenn einer das Trikot über die Augen zieht. Erst dann, so die Argumentation, sei schließlich ein Gesicht verdeckt.

Auch über die Legalität der Botschaften, die trikothebende Torjubler auf ihren Unterhemden präsentieren, herrscht quälende Unklarheit. Politische und soziale Inhalte sind verboten. Aber darf z. B. der Brasilianer Lucio auch künftig ein T-Shirt präsentieren, auf dem „100 % Jesus“ geschrieben steht, obwohl es doch in Wirklichkeit 100 % Baumwolle sind, aus dem es gefertigt wurde? Da sage noch einer, Fußball sei ein einfaches Spiel.