herr tietz macht einen weiten einwurf : Biegen und Brechen im Stoppelfeld
FRITZ TIETZ über motorsportliche Wochenenden bei Tostedt, Stoppelfeld-Racer und lustiges Automarkenraten an vorsätzlich demolierten Rennkisten
Spätsommer in der Nordheide. Die Getreidebauern haben ihre Ernte längst eingefahren. Mancher Acker wird bereits wieder „schwarz gemacht“, wie man hier das Pflügen heißt. Ein Stoppelfeld nahe der Bundesstraße 75 unweit des Nordheide-Städtchens Tostedt bleibt vorerst ungepflügt. Das haben die Mitglieder der Landjugend dem Bauern abgerungen, denn sie wollen hier am Sonnabend den letzten Lauf zur diesjährigen Stoppelfeldrennmeisterschaft ausrichten.
Stoppelfeldrennen sind ein Motorsport-Phänomen, das in der Nordheide vor etwa 20 Jahren aufkam. Die sich damals zusehends motorisierende Landjugend entdeckte die gemähten Äcker der Gegend als gute Möglichkeit, ihren nicht mehr straßentauglichen Autos vor der Verschrottung noch einmal alles abzuverlangen. Schnell wandelte sich der anfängliche Feierabendzeitvertreib zum fest terminierten spätsommerlichen Halbstarken-Event. Mittlerweile hat sich in der Nordheide eine gut organisierte Stoppelfeldrennszene etabliert, deren Aktivisten von Anfang August bis Mitte September jeweils samstags auf sechs verschiedenen Äckern entlang der Bundesstraße 75 ihre Meisterschaft ausfahren.
Knapp 100 Fahrer werden im letzten Saisonrennen an den Start gehen. Herrlich röhrender Motorenlärm wird die ländliche Ruhe zerfetzen, wenn pro Lauf je vier Boliden über den 800 Meter langen Ackerrundkurs rasen, rumpeln und schleudern und dabei, je nach Witterung, im Staub oder im Schlamm versinken. Den ganzen Tag lang werden sich die Piloten bis aufs Blech bekämpfen und reichlich Schweiß und Adrenalin ausschütten, wenn sie auf dem schon nach wenigen Rennen von tiefen Fahrspuren zerfurchten Kurs um die schnellsten Zeiten fighten und dabei auch vor einem Crash oder Überschlag nicht zurückschrecken. Und man wird wieder nur staunen können: was Autos so alles aushalten, ehe ihre Motoren oder Getriebe auseinander fliegen oder die Fahrgestelle brechen und sie aus der Bahn geschleppt werden müssen. Doch selbst dann noch wird man manchen Stoppelfeld-Racer erleben, wie er schraubend, hämmernd und schweißend mit den Tücken der Kfz-Technik kämpft und alles versucht, um seinen überheizten und demolierten Boliden auch noch in den ausstehenden Wertungsläufen an den Start zu bringen.
Seit Jahren als schwer begeisterter Zuschauer bei mindestens zwei, drei Rennen pro Saison dabei, habe ich mir in diesem Jahr blöderweise noch keines der Spektakel ansehen können. Übermorgen aber. Und ich kann nur empfehlen, es mir gleichzutun und bei hoffentlich spätsommerlichem Sonnenschein und hingefläzt auf einen Strohballen das durchweg spaßige Renngeschehen zu verfolgen. Ein Eintrittsgeld wird nicht erhoben. Bier, Bratwurst, Kaffee und Kuchen gibt es zu moderaten Preisen. Die Stimmung ist trotz aller materialverschleißenden Brutalität auf dem Rennkurs angenehm lässig. Auch ein Gang durchs Fahrerlager und insbesondere die Besichtigung der verrückten Rennkisten lohnt immer, wobei man sich aus deren Identifizierung als Audi, VW-Golf, Nissan-schieß-mich-tot oder Opel-was-weiß-ich einen kleinen Rätselspaß machen kann. Schließlich müssen die Fahrzeuge nach einem vorwiegend am Sicherheitsaspekt ausgerichteten Reglement von allen brenn- und splitterbaren Materialien befreit und durch allerlei Einbauten zusätzlich stabilisiert werden, so dass das ursprüngliche Fabrikat der zudem oftmals schon arg zugerichteten Wagen zuweilen schwer zu erkennen ist.
Einsamer Höhepunkt eines Renntages ist zweifellos das abschließende Handicap-Rennen, in dem statt wie sonst nur vier gleich hubraumstarke Fahrzeuge drei Runden, acht Autos aus allen vier Leistungsklassen sechs Runden lang gegeneinander fahren. Die beiden motorschwächsten starten aus der ersten Reihe, die beiden stärksten von ganz hinten, dazwischen tummeln sich die Vertreter der mittleren Klassen. Die sechs Runden werden auf Biegen und Brechen gefahren, das heißt, bei einem Crash oder Überschlag gibt es keinen Rennabbruch wie in den regulären Durchgängen. Da fliegen dann schon mal so richtig die Fetzen.