piwik no script img

Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf Scheiß auf den Gratis-Puff

Fritz Tietz über die vermehrt zu notorischen Blindfischen herabgelaberte Schiedsrichterzunft

FRITZ TIETZ ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

Früher waren die Eltern immer schuld. Danach musste die Gesellschaft als Ursache jedweden Unheils herhalten. Dann glaubte man, „die da oben“ seien der Grund allen Übels. Momentan aber scheint man das Elend der Welt vorrangig nur einer Personengruppe in die Turnschuhe schieben zu dürfen: den Bundesliga-Schiedsrichtern. So der in den letzten Tagen stark sich verdichtende Eindruck. Die übliche Nörgelei über die schwachen Schiedsrichterleistungen ist zurzeit mehr als nur jenes mediale Ritual, das vor einigen Jahren als bequeme Möglichkeit der Zeilen- und Minutenschinderei entdeckt wurde und von den Sportberichtern entsprechend enthusiastisch gepflegt wird. Seit geraumen Zeiten gibt es jedenfalls keine Schiri-Entscheidung mehr, die auf den Sportseiten nicht ausufernd bekakelt würde. Im Fußball-TV spezialisieren sie sich zudem stetig ausrastender darauf, sog. strittige Situationen in teilweise zigfach wiederholten Zeitlupen zu dokumentieren. Immer häufiger insertiert man auch irgendwelche Hilfslinien auf die Bildschirme und holt sich zusehends abgedrehtere Experten ins Schwafelboot, wenn es wieder mal gilt, nach dem Abpfiff ausgiebigst über „Drin oder Linie?“, „Foul oder Schwalbe?“ oder „Abseits oder gleiche Höhe?“ zu schwadronieren.

So weit, so blöd zwar, wenn auch im Prinzip nicht weiter schlimm. Eine ordentliche Portion Schiedsrichterbeschimpfung muss immer drin sein. Ein mitten im Spiel lauthals dem Schiri gewidmetes „Arschgesicht!“ vermag innere Spannungen zu lösen und kann somit gesundheitsfördernd sein. Soll heißen: Solange man nicht noch nach Spielende glaubt, dass der eben erst als „Schwarze Drecksau!“ Titulierte tatsächlich eine schwarze Drecksau ist, sollte Schiri-Bepöbeln genauso zum Fußball gehören wie die obligatorische Pausenwurst – sofern die nicht Delling, Netzer, Breitner oder Poschmann heißt.

Vor allem Bratwürste diesen Schlags haben nämlich aus der gesunden Schiri-Schelte sukzessive eine Art Verbrechensfahndung gemacht. Systematisch sind die Pfeifenmänner zu potenziellen Versagern und notorischen Blindfischen herabgelabert worden. Ein regelrechtes Feindbild ist so mählich vom Schiedsrichter gezeichnet worden, das mittlerweile vom Pöbel daheim und auf den Rängen nur allzu bereitwillig übernommen wird. Wie das eben in einer restriktiv strukturierten Gesellschaft so funktioniert, zu der sich die deutsche dank sechzehn Jahren Kohl-Diktatur und erst recht nach knapp sieben Jahren rot-grüner Krawallherrschaft rapide entwickelt hat.

Selbstverständlich trug der armselige Fall des Robert Hoyzers einiges zur Bestätigung des eh schon angezählten Schiri-Images bei. Dass da einer für einen Betrag, für den etwa ein Uli Hoeneß nicht mal den kleinen Finger rühren würde, mehrere Spiele verschoben haben soll, passte einfach zu gut ins Bild vom verschlagenen Schiri und ebenso selbstherrlichen wie selbstgefälligen Kartenwedler, dem endlich mal die vorlaute Pfeife gestopft gehört. Zwar übte man sich nach Hoyzers Entlarvung kurzfristig noch in ostentativer Zurückhaltung und versprach, nicht alle Unparteiischen in Generalverdacht zu nehmen. Schafsnasig, wie nur deutsche Fans das können, hielt man sogar bei zwei Pokalspielen neulich grüne Karten in die Luft, die der DFB und sein Sponsor Dekra ausgeheckt hatten, als, wie es hieß, „Zeichen für die Schiedsrichter und den sauberen Fußball“.

Aber das war bloß die Ruhe vor dem Sturm. Deutlich hat sich an den letzten beiden Bundesliga-Spieltagen der unsaubere Ton wieder verschärft. Das übliche Gegreine über die Schirileistungen tendiert eindeutiger denn je Richtung Mordio & Gezetere. Und das offenbar endlich mit Erfolg. So erwägt der DFB jetzt allen Ernstes den Einsatz von Bällen mit Funkchips drin, die dem Schiedsrichter die Entscheidung abnehmen sollen, wann sich der Ball im Aus, im Abseits oder im Tor befindet. Und die Fifa sprach sich gerade vehement für die Profischiedsrichterei aus … Wäre ich Bundesliga-Schiri, ich würde jetzt sofort die Pfeife an den Nagel hängen. Aber echt! Scheiß doch auf den Gratis-Puff.