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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf Das Jahr der Finisher

Gute Vorsätzler tummeln sich zuhauf auf den einschlägigen Joggingstrecken. Fünfe grade sein zu lassen hat sich kaum einer für 2007 vorgenommen

„Was packen Sie 2007 an?“, fragte zum Jahreswechsel die Süddeutsche Zeitung ihre Netzleser und ermunterte sie, ihre Anpack-Vorsätze online zu veröffentlichen – „anonym selbstverständlich“, wie seitens der Redaktion zugesichert wurde. Zahlreiche gute Vorsätzler folgten dieser Aufforderung und packten freiweg aus, was sie in diesem Jahr anzupacken gedenken. Beruhigend immerhin: „Merkels Brüste“ oder „die nächstbeste 50.000-Volt-Leitung“ gehören nicht dazu. Auch „Johannes B. Kerner umbringen“ oder „eine Bank überfallen“ zählen nicht zu den Vorhaben süddeutscher Leser. Einer freilich ist zum schlimmsten Verbrechen bereit, das man derzeit in Deutschland begehen kann. Er hat für 2007 angekündigt, „endlich mit dem Rauchen anzufangen“.

Weitaus ausgeprägter als die Neigung zur offenen Gewalt scheint bei der SZ-Klientel aber der Hang zur geheimen Liebesaffäre zu sein. Bemerkenswert jedenfalls, wie häufig sie Gegenstand ihrer guten Vorsätze ist. Meistens übrigens im Verbund mit dem erklärten Ziel, selbige endlich aus dem klandestinen Dunkel der amourösen Geheimniskrämerei ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Oder wie es einer ganz knapp formulierte: „Ehe beenden.“ Ein anderer will, wie er unverhohlen androhte, „endlich die schon lange unterdrückte Affäre mit meiner Kollegin realisieren“. Was auch immer das im Detail bedeutet. Man kann nur stark hoffen, dass die Kollegin dabei keinen Schaden nimmt.

Am allerhäufigsten realisiert werden will aber in 2007 körperliche Tüchtigkeit. „Abnehmen“ heißt das offensichtlich drängendste Gebot des saturierten Mittelstands, aus dem sich die Leserschaft der Süddeutschen mehrheitlich rekrutieren dürfte. Sagenhafte fünfundzwanzig Kilo will einer bis Jahresende abgespeckt haben, was jedoch, wie wir notorisch dicken Zwischenschichtler wissen, sich eher als Wunschkonzert entpuppen wird. Und zwar in fett-Moll. Ach, wenn man stattdessen nur diesen Vorsatz fassen könnte: „Zehn Kilo zunehmen“, wie sich’s jemand in den Kopf gesetzt hat. Ich zum Beispiel bräuchte dafür keine Woche.

Musst dich eben „gesünder ernähren“ oder „mehr bewegen“, höre ich da jetzt die Ermahnungen drahtiger Müslifresserinnen und asketischer Laufburschen, die die taz-Leser ja größtenteils sind, auf mich einteufeln.Und genau das haben sich etliche SZ-User für 2007 verordnet.

Rechnet man deren Zahl auf die deutsche Gesamtbevölkerung hoch, dürften die hiesigen Bioläden und Reformhäuser in diesem Jahr einen börsengangtauglichen Aufschwung erfahren. Während die Junkfoodindustrie schon Ende Januar das Hungertuch wirft. Auch wird demnächst wohl manch einschlägige Joggingstrecke wegen zeitweiliger Überfüllung gesperrt werden müssen. Derart massenhaft offenbart sich in der SZ-Vorsatz-Liste der Bedarf nach leibesertüchtigender Betätigung durch Dauerlauf vulgo Joggen, der mit Abstand meist favorisierten Sportart.

Nicht wenige, die in diesem Jahr sogar unbedingt die Königsdisziplin bewältigen bzw. endlich mal „einen Marathon finishen“ wollen, wie es einer ausdrückte. Finnisch gut, denken Sie da jetzt sicher, anstatt es lieber mit jenem Vorsatzfasser zu halten, der sich seine Fitness durch „mehr Sex“ zu stählen vorgenommen hat. Das Erschütterndste daran: er ist der Einzige auf der Liste, der diese wohl gedeihlichste aller Sportarten in Erwägung zieht.

Neben dem Marathon oder wenigstens Halbmarathon kommt übrigens auch der Triathlon zu reichlich guten Vorsatzehren auf der SZ-Liste. Und damit noch so eine sportliche Domäne all derer, die ihr Dasein bevorzugt als Krieg begreifen und folglich glauben, auch in ihrer sogenannten Freizeit den Harten markieren zu müssen. Minigolf, Fünfe gerade sein lassen oder spazieren gehen gehören jedenfalls nicht zu den Leibesübungen, deren vermehrte Praxis SZ-Leser in 2007 geplant haben.

Auch mein guter Vorsatz taucht auf ihrer Liste nicht auf: Endlich die Sommerreifen aus dem Kofferraum nehmen, wo sie immer noch rumklötern, seit ich vor vier Wochen die Winterreifen dranmachen ließ.