handlungsstränge wie eine rolle klopapier von ULRIKE HELMER :
Zum Osterfest gehört das rituelle Verputzen von Osterhasen und Lämmern. Dehnen wir den schönen Brauch bei dieser Gelegenheit aus auf goldene Kälber und heilige Kühe: Knabbern wir an den Götzen des allmächtigen Verlages und der genialen Wortkünstlerin!
Die weibliche Form sei mir gestattet – ich verlege Frauen- und Geschlechterfragen, meine Autoren sind Autorinnen. Auch gibt es wenige geniale Wortkünstler. Das wahre Genie ist männlich, aber tot. Das wahre Genie blüht erst nach dem Ableben seines Trägers voll auf.
Zurück zum Thema: Die geniale Wortkünstlerin ist schon deshalb genial, weil sie unfehlbar die Machenschaften des allmächtigen Verlages entlarvt. Sie weiß, dass Verlag das Synonym für intellektuelle Ausbeutung, Entrechtung und Blutsaugerei ist. Ein Ort, wo blasse Menschen in endlosen Debatten über Vertriebswege brüten, auf geheim gehaltenen Pressekontakten glucken, aber letztlich keine Bücher verkaufen, sondern irgendwie nur verlegen wollen. Sonst würde der allmächtige Verlag viel höhere Auflagen drucken. Und seiner genialen Wortkünstlerin auch nicht abraten, auf eigene Faust Buchhandlungen und Redaktionen zu begackern.
„Wer hat mein Lied so zerstört?“, fragte Daliah Lavi. Im Verlag rotten sich gefühlskalte Lektorate zusammen, um wohl komponiertes Liedgut zu zerdeppern. Der Verlag ist auch eine Brutstätte hässlicher Cover. Die könnten so schön sein, würde berücksichtigen, dass die geniale Wortkünstlerin immer auch eine geniale Umschlaggestalterin ist.
Auf Lesungen erkenne ich die geniale Wortkünstlerin sofort. Sie sitzt gespannt in der ersten Reihe, hält einen prall gefüllten Schnellhefter geklammert und fixiert mich mit misstrauischem Blick. Falls es mir gelingt, vor Ende der Veranstaltung heimlich aus dem Saal zu schleichen, werde ich spätestens auf der Damentoilette gestellt. Während ich stumm am Handtuchspender zerre, wickelt die geniale Wortkünstlerin mich in Handlungsstränge wie in eine Rolle Klopapier.
Über Verträge wird diskutiert. Die geniale Wortkünstlerin will ändern und mit Ergänzungen schmücken. Spätestens an der Frage nach dem Copyright ist sie erkennbar. Warum darf sie es nicht behalten? Für wie lange soll sie es abtreten? „Lebenslänglich“, antworte ich grimmig und sehe das Auge der genialen Wortkünstlerin zucken. Alles klar, denkt die, knechten und knebeln. Und überhaupt, was ist mit den Filmrechten?
Genial kann übrigens auch die Sachbuchkünstlerin sein, nicht bloß die Wortkünstlerin. Die übergibt ein Manuskript voller Fehler mit den Worten, als Verfasserin sei sie für Inhalte zuständig und wate nicht durch die Niederungen von Rechtschreibung und Grammatik. Und nebenbei, Goethe sei weit liebevoller von seinem Verleger behandelt worden …
Geniale Wortkünstlerinnen wachsen an der Zahl ihrer Ablehnungen. Sie wissen Bescheid. Zum Beispiel über Ablehnungsschreiben: Wie soll so ein Verlag eine Absage auch begründen, wenn er das angeforderte Manuskript nicht gelesen hat? Nachweislich, denn das listig eingelegte Haar war bei Rücksendung immer noch zwischen Seite 245 und 247.