hamburg heute : Der Alltag und das Grauen
Er ist Nihilist, sehnt sich nach Gott und schreibt Novellen: Hartmut Lange liest aus „Der Therapeut“
„Ich glaube nicht an Gott. Aber ich habe Sehnsucht nach ihm.“ Irgendwann hat der 1937 geborene, 1965 aus der DDR geflohene Hartmut Lange verstanden, dass ihm der Marxismus, „das Erkennen und Benennen der Dinge“, beim Leben nicht hilft. „Da hat mir noch der Existenzialismus geholfen“, sagt Lange. Die Welt durchschaubar gemacht hat auch dieser nicht. „Etwas Unbegreifliches“, so Lange selbst, „bleibt immer.“
Den Einbruch des Irrationalen zelebrieren auch seine Novellen. „Der Therapeut“ heißt eine: Was hat es zu bedeuten, dass aus dem Garten des zwielichtigen Therapeuten eine Treppe in den See führt, aus dem ständig Selbstmörder geborgen werden? Und warum ertönen merkwürdige Geräusche hinter den Türen, als ein Journalist recherchieren will? Süffisant streut Lange Zweifel an den Wahrnehmungen seiner Protagonisten, bis auch der Leser irgendwann nicht mehr weiß, in welcher Sphäre man wandelt.
Eindeutig gelöst ist das dagegen in Langes Novelle „Das Konzert“: Darin treffen sich ermordete Juden und ihre SS-Schergen im Jenseits und diskutieren über den Sinn der Morde. Erschienen ist der Text bereits 1986. Einen Aufschrei gab es damals nicht. Warum er nicht bemerkt wurde? „Vielleicht“, sagt Lange, „weil ich immer quer zum Zeitgeist geschrieben habe.“ PS
heute, 20 Uhr, Literaturhaus