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Archiv-Artikel

fußpflege unter der grasnarbe Fußball ohne Hausbar

Am Ende hatte 96-Coach Ralf Rangnick wieder einmal „eines der besten Spiele meiner Mannschaft“ gesehen. Ich nicht. Ich wusste bereits lange vor dem Anpfiff, dass auch dieser Versuch, mich mit meiner Heimmannschaft auszusöhnen, enden würde wie Rangnicks unendliche Versuche, seine kariöse Abwehrreihe wenigstens auf AOK-Niveau zu sanieren: mit einem Fiasko.

Das Elend begann, als man mir am Kassenhäuschen den Gegenwert eines Paares italienischer Herrenschuhe für zwei „Vater und Kind“-Sitzplätze auf der Gegengeraden abknöpfte. Dabei habe ich gar keine Kinder und konsumiere die Bundesliga normalerweise ohne zu bezahlen. Auf Premiere, bei meinem Bruder, in Reichweite der exquisit bestückten Hausbar. Aber ich hatte mich breitschlagen lassen, den kleinen Max ins Stadion zu begleiten. Sein Erzeuger saß derweil auf der Gegengeraden seinen Presseausweis platt, beschäkerte die wirklich sehr hübsche Volontärin der Lokalzeitung und verklappte in rascher Folge mehrere Premium-Pils. Ich berappte für ein schales Gilde und eine Fanta weitere sieben Euro. Dann stolperten wir über Schutthalden und lose Bohlen auf unsere Plätze.

Deprimiert sah ich mich um. Rechts klaffte eine Bauruine, links hing ein Gerüst. Aus den Lautsprecherboxen mühte sich der Werbemuezzin, WM-Euphorie zu verbreiten und blökte Vokabeln wie „Zukunft“ und „Weltniveau“ in die Runde. Seit den Expo-Tagen kann man in Hannover über so was eigentlich nicht mehr lachen. Wie zum Hohn erschien auf der Anzeigentafel das Firmenlogo des Anlageberaters Maschmeier, der die Stadtväter mit zwei ergaunerten Millionen überzeugt hatte, das gute, alte, ehrwührdige Niedersachsenstadion in die AWD-Arena zu verwandeln.

Sogar dem kleinen Max kamen die Tränen. Aber nicht ob der ästhetischen und moralischen Niedertracht des Berufsfußballs. Der Brezelverkäufer hatte seine Fanta umgetreten. Ich ging los und kaufte ihm eine neue. Auf dem Rasen war zu diesem Zeitpunkt ohnehin nichts los. Bayer Leverkusen saß noch im Bus und die 96er schoben ungestört den Ball durch die eigenen Reihen.

Das 1:0 durch Clint Mathis erwischte mich hinterrücks am Getränkestand. Max hatte auch nichts gesehen. Bei jedem gelungenen Kurzpaß verhängten drei Zweimeterschränke sein Gesichtsfeld mit einem Laken, auf dem in ungelenken Lettern stand: „HSV von 1896 - Das Beste im Norden“. Das behauptet der NDR auch immer. Woran man sieht: Selbstsuggestion ist hierzulande ein verbreitetes Hobby. Sie brüllten auch schon wieder „96 Deutscher Meister“, als Mathis seinen zweiten großen Auftritt hatte. Der US-amerikanische Nationalspieler drosch den Ball von halblinks in den Strafraum und Kostas Konstantinidis musste nur noch den Schlappen zum 2:0 hinhalten.

Wir bekamen natürlich nichts mit, weil die Zwei-Meter-Schränke jetzt ohne Pause auf den Stühlen tanzten. Sechs Minuten später wurden sie merklich ruhiger und wir hatten tatsächlich freie Sicht. Aber da wollte man schon gar nicht mehr hinsehen. Leverkusen beschloss ein bisschen mitzuspielen, Rangnick merkte es nicht, und die 96-Abwehr taumelte durch den Strafraum wie in Halbzeit eins die dauerlobotomisierten Carsten Ramelow und Jens Nowotny. Prompt stand es kurze Zeit später 2:2.

Max reichte es. Er zog einen Flunsch und meinte, er sei sowieso Bochum-Fan. Ich seufzte, das hättest du haben können. Auf Premiere bei meinem Bruder, in Reichweite der exquisit bestückten Hausbar.

Fotohinweis: Michael Quasthoff lebt in Hannover. Hier wirkt er als freier Autor und linker Aushilfsverteidiger bei Kroatia. Auf unserem Foto hat er sich hinter den drei Zweimeterschränken versteckt.