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Archiv-Artikel

fußpflege unter der grasnarbe Mein Freund, der Baum

Vor genau 108 Jahren wurde in Jena ein Beschluss gefasst, der von großer Bedeutung sein sollte für den deutschen Fußball. Die Spielfelder im Lande, so schrieb man es damals nieder, müssten fortan frei sein von Bäumen und Sträuchern. Offensichtlich hatte die Natur der Kickerei im Wege gestanden, aber ganz so schlimm kann diese Behinderung nicht gewesen sein, denn lange bevor sie das Grünzeug verboten, hatten die Regenten des Spiels den Strafstoß und die Linienrichter eingeführt.

Auf einem Spielfeld darf bis heute kein Pflänzchen sprießen, doch dass ein Stadion komplett baumfrei sein muss, steht nirgendwo geschrieben. Dass in den Tempeln, die Arena heißen, nichts blüht, liegt indes in der, tja, Natur der Sache: Wenn dort nicht mal ein Rasen allzu lange überlebt – wie soll dann ein Baum einen Stammplatz kriegen?

Dass ich nicht so richtig warm werde mit diesen öden Orten, muss etwas mit der Baumfrage zu tun habe. Und wie so vieles, was mit Fußball zu tun hat, liegt das in der Kindheit begründet. Aufgewachsen bin ich in Bergedorf, und die Stadien dort sind baumbetonte kleine Welten: Die Marienburg liegt mitten in einem Wald, das Billetalstadion direkt davor, und die Spielstätte Sander Tannen, wo der Viertligist Bergedorf 85 kickt, ist sogar nach Bäumen benannt.

So gesehen ist meine Vergangenheit wohl auch der Schlüssel zu meinen beiden heutigen Stadion-Vorlieben: Das Bild der Adolf-Jäger-Kampfbahn in Bahrenfeld wird mitgeprägt von den mächtigen Pappeln hinter dem Tor an der Eingangsseite, und am Millerntor dienen die Bäume in der Nordkurve ja sogar als zusätzliches Sitzplatzangebot. Was für ein niedlicher Anachronismus! Denn dass Menschen in den Bäumen hocken, um besser oder überhaupt sehen zu können – das kennt man ansonsten ja höchstens von Stadionfotografien, die aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts stammen.

Irgendwann mal haben sich Stadien und Bäume ziemlich gut verstanden – daran erinnern noch Namen wie das Waldstadion in Frankfurt oder auch das Volksparkstadion, das, wenn man denen da oben glauben darf, ja inzwischen nicht mehr so heißt. Wenigstens gibt es im norddeutschen Amateurfußball noch viele baumlastige Stadien: Der VfR Neumünster, der Lüneberger SK, der VfL Pinneberg, der Husumer SV, der Harburger TB und der Harburger SC – sie alle haben ihre Spielstätten in Waldgebieten.

Die Freude an der Natur hat natürlich auch dunkle Seiten. 1926, als er Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen war, schrieb Carl Diem – der bald darauf zum Obermufti des NS-Sports aufstieg – in Grundsätzliches zum Stadionbau: „Ein Sportplatz ist ein Schmuckplatz. Sei freigiebig mit schmückendem Grün, sparsam mit Zuschaueranlagen ... Der Schrei nach der Tribüne stammt im Wesentlichen aus dem Geldbeutel, und dieser sollte in unserer Sache nicht regieren. Zum Begriff des Sports gehört der freie Himmel, und wer nicht einen Regenschauer in Kauf nehmen will, der soll dem Sportplatz fern bleiben.“

Wer also etwas vorbringt gegen die ungrüne Stadienwelt von heute, muss den Romantiker in sich zügeln.

René Martens