frisch gestrichen : Gelbes, segensreiches Stück Karton
Die Sozialkarte
Sie garantiert günstige Mobilität: die Sozialkarte der BVG. Wer als Sozialhilfeempfänger das personalausweisgroße Pappstück, darauf getackert ein Passbild, sein Eigen nennt, kommt in Berlin fast überall hin: Er genießt freie Fahrt in den Tarifbereichen A und B für gerade mal 20,40 Euro monatlich. Diesem gelben, segensreichen Stück Karton droht jetzt das Aus. Denn der Senat streicht in seinem Haushaltsentwurf 2004/2005 die Landeszuschüsse für das Sozialticket – Ersparnis: 17,4 Millionen Euro.
Werden Berlins Arme in den nächsten Jahren also zu Fuß durch die Straßen wandern, weil sie sich das reguläre Ticket schlicht nicht leisten können? Ein unschönes Bild ist das, alte Leute, die auf wunden Füßen den Weg zur Suppenküche nicht mehr schaffen – da mag die BVG über die Senatspläne lieber gar nicht weiter nachdenken: Die Verkehrsbetriebe äußerten sich derzeit zu überhaupt nichts, sagt die zuständige Sprecherin. Das sei alleinige Angelegenheit des Senates. Doch dass die Einstellung der Landeszuschüsse das Ende der verbilligten Monatskarte bedeutet, ist zumindest wahrscheinlich. Die Fördermittel gleichen die Differenz zum Normalpreis von 56 Euro pro Ticket und Monat aus.
Auch in der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz macht man sich noch wenig Gedanken über die Zukunft der Sozialkarte – und wiegelt ab: „Niemand wird notwendige Wege schwarzfahren müssen“, sagt Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Senatsverwaltung. „Bei allen Sozialhilfeempfängern gilt schließlich heute schon die Einzelfallprüfung.“ Und außerdem: Eventuell bringe die BVG ein neues Produkt heraus, das an den umstrukturierten Haushaltsplan angepasst sei. Fazit: Viel zu früh sei es, den Abgesang anzustimmen auf die „Berlin-Karte S Monat Berlin AB“, zu groß seien Unwägbarkeiten wie das bundespolitische Hartz-Paket.
Was außerdem hoffnungsfroh stimmt – die Sozialkarte ist von zäher Natur, schon einmal hat sie in höchster Gefahr überlebt: Im Sommer 1996 versuchte die damalige große Koalition sie zu meucheln, Bezirke und Sozialverbände revoltierten wochenlang. Schon nach zwei Monaten konnten Sozialhilfeempfänger sie wie üblich an BVG-Schaltern erstehen. Das kleine Zugeständnis damals – sie kostete 5 Mark mehr.
CHRISTIN GRÜNFELD