entscheidung vertagt: US Supreme Court ist überfordert
Die Ereignisse um die Wahl des amerikanischen Präsidenten haben eine Eigendynamik entwickelt, die offenbar die Institutionen des Landes überrollen. Das Oberste Gericht der USA hat ein Urteil erlassen, das nichts klärt und auf den ersten Blick weder der einen noch der anderen Seite Recht gibt. Das oberste Bundesgericht hat das Urteil des Supreme Court in Florida an das Gericht zurückverwiesen mit der Bitte um Aufklärung. Viel deutlicher konnte das Oberste US-Gericht nicht sagen, dass es sich überfordert fühlt – und nicht in den Parteienstreit hineingezogen werden möchte.
Kommentarvon PETER TAUTFEST
Die angesprochenen Rechtsfragen entziehen sich weitgehend dem Verständnis des Laien, entscheiden aber letztlich nicht, wer Präsident wird. Es geht darum, ob der Supreme Court in Florida seine Argumentation im Wesentlichen auf die Verfassung Floridas stützt – was nicht statthaft wäre, weil auch hier Bundesrecht Landesrecht bricht. Das Urteil ist nicht unterzeichnet und ist mithin einstimmig – was unter den gegebenen Umständen überrascht.
Am Freitag war bei der Verhandlung im Supreme Court deutlich geworden, dass das Gericht in Gefahr war, im Parteienstreit zerrissen zu werden. Als verheerend wäre ein Urteil angesehen worden, das mit der üblichen knappen 5:4-Mehrheit der einen oder anderen Seite einen Vorteil gebracht hätte. Der US Supreme Court hätte dadurch sein Ansehen als unparteiische Instanz für die Amerikaner eingebüßt.
Um dieser Gefahr zu entgehen, hatte das Gericht eigentlich nur eine Möglichkeit: Es hätte den Fall nachträglich abweisen und sich selbst für unzuständig erklären können – was freilich die Frage aufgeworfen hätte, warum es ihn dann überhaupt angenommen hatte. Das Oberste US-Gericht tat also nun, womit am allerwenigsten gerechnet wurde. Es verwies die Entscheidung nach Florida und damit an ein Gericht zurück, das sich eigentlich darauf vorbereitet, die viel wichtigere Entscheidung eines Bezirksgerichts zu überprüfen: Sollen umstrittene Wahlzettel von Hand jetzt noch nachgezählt werden?
Jetzt werden beide Verfahren wohl gleichzeitig auf dem Tisch des Obersten Gerichts in Florida landen und neu verhandelt. Derweil läuft die Zeit ab, die Al Gore bleibt, um zu beweisen, dass er die meisten Stimmen in Florida gewonnen hat. Insofern, und nur insofern, ist das Urteil des amerikanischen Verfassungsgerichts eine gute Nachricht für Bush und eine schlechte für Gore.
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