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Archiv-Artikel

eisenbahnmeckerei, quo vadis? von MICHAEL RUDOLF

Um absolut und mindestens wichtige Dinge zu überprüfen, was alles stimme und was nicht, was sich geändert haben könnte und vor allem auch warum, fährt ein seriöser Autor selbstverständlich drei Minuten vor Druckunterlagenschluss seines aktuellen Rockmusikbuches zum nächstbesten Konzert einer einschlägig bekannten Combo. Aber wie es der Zufall will, fällt die nämliche Eisenbahn einfach aus. Ohne Angabe von Gründen. Angeblich ist sie weg. Oder Indianer?

Als die Abfahrtzeit schon um einige Sekunden überschritten ist, stürmt der Autor samt seiner Liebsten das Headquarter der heimischen Wildwesteisenbahnstation. Ratlosigkeit zunächst. Dann schreit er herum. Die Liebste hält die Stellung und gibt dem Rückzug des Autors Feuerschutz, damit er die Tickets wieder einlöse. Doch die Bahnhofspräsidentin gibt die Sache nicht verloren, auch weil die Liebste mit den Konzertkarten winkt und deutlich artikuliert, dass die Sache für die Eisenbahn diesmal teuer würde. Sehr teuer.

„Hören Sie, Miss, das kriegen wir gebacken!“ Spricht’s und läutet energisch auf dem Tisch trommelnd den Umsteigebahnhof an, ob die Anschlusseisenbahn im nächst größeren Ort auf die nächste Eisenbahn von hier warten wolle. Will sie nicht. „Okay, dann besorgen wir Ihnen ein Taxi. Lösen Sie schon mal Ihr Ticket wieder, ich ruf die Kollegin am Schalter vorn an, die hat zwar schon Feierabend. Aber das macht sie bestimmt.“

Autor und Liebste sterben in der Zwischenzeit tausend Tode und schwitzen auch ganz schön. Das mit den Tickets klappt, die Kollegin am Schalter lächelt erleichtert. Die Bahnhofspräsidentin legt ihre Bewaffnung (Kelle, Rotmützchen und Pfeifchen) an, rennt raus zum Taxistand, wirft sich einem eben abfahrenden Wagen kühn vor die Kühlerhaube und erzwingt für die beiden Konzertbesucher eine Fahrt zum Ort des Umsteigebahnhofes.

Was bleibt dem Fahrer übrig? Das Geschäft seines Lebens. Eine halsbrecherische Fahrt über Stock und Stumpf. Von der Tour wird er seinen Enkeln noch berichten. Auf halber Strecke haben sie die Eisenbahn, wäre sie denn gefahren, in Gedanken eingeholt. Die Anspannung des Fahrers löst sich. Ein Schlenker dahin oder dorthin wäre jetzt auch noch drin. „Waren Sie schon mal hier, Mister? Wir können auch mal hier lang fahren? Wann fährt Ihr Zug?“ Noch als der ICE in Berlin ankommt, haben die Herzen der Konzertbesucher nicht das Flattern eingestellt. Nun gilt es die S-Bahn. Dann die Beine in die Hand. Vor lauter Aufregung preschen sie irrtümlich ins Columbia Fritz statt in die Columbia Halle, korrigieren den Irrtum, und sind doch noch pünktlich zwei Sekunden vor Konzertbeginn zur Stelle.

Die Combo live dann hoch in Form, der Autor kann eine Fülle neuer Eindrücke sammeln und bisher gesammelte bestätigen oder verwerfen. Am liebsten hätte er im Zugabenteil der Combo fix noch dem Publikum von seinen Eisenbahnerlebnissen erzählt. Aber die redlich geschaffte Liebste des Autors, die für heute echt genug hat, muss aus dem Moshpit evakuiert werden. Und damit hat sich’s.