einer ist immer der lutz von WIGLAF DROSTE :
Ein Glücksfall der Literatur ist Peter Kurzeck. Seit einigen Jahren hat das sogar der hiesige Literaturbetrieb gemerkt und lobt, wie er es eben vermag. Kurzeck, ein genauer, wirklichkeitsgetreuer, wahrhaftiger und geradezu bejubelnswert uneitler Erzähler, wird, das bringt der Beruf so mit sich, auch zu Lesungen gebeten. Er nimmt aus Honorargründen an, ein Bühnenmensch ist er überhaupt nicht: „Wenn einer nur sagt, ‚Sie sind also der Autor‘ – gleich wird mir heiß, nur weg! Du kannst nicht mehr schlucken, musst unverzüglich auf und davon, nur weg hier, entstreben“, heißt es ohne Koketterie in der halbstündigen Titelgeschichte seiner aus dem Meer der Hörbuchbrüllerei still herausragenden CD „Stuhl, Tisch, Lampe“ (Stroemfeld/supposé).
Man hört, dass der 1943 in Böhmen geborene Kurzeck seit seinem dritten Lebensjahr in Hessen aufwuchs. Von Frankfurt unterwegs zur Lesung nach Offenbach hat er „in einer zuverlässigen Blastiktüte unverlierbar“ sein Manuskript. Später im Text heißt es: „Die Blastiktüte auspacken vor aller Augen … Und was ist das für eine Tüte? Gelb und weiß, von Penny. Er hätte auch eine Blus-Tüte nehmen können, die sind blau und orange und genauso braktisch. Aber jetzt hat er die Penny-Tüte.“
Die gelegentlichen Konsonantenverschiebung von P nach B macht aus Kurzecks Vortrag aber keine süddeutsche Mundartlesung, wie man sie von Thor Kunkel erdulden musste. Kunkel hesselt beim Vorlesen seiner Nazipornoschlammreiterei „Endstufe“ – nicht vergessen: printed by Eichborn, powered by FAS – von „preitpeinigen“ Frauen, die eine „frich epilierte Cham“ und Sandalen mit „Riemschen über dem Knöschel“ tragen.
Kurzecks Klangfarbe dagegen ist weder fies noch provinziell, er spricht ganz bei sich. Mann und Text machen den ganzen Unterschied. So einfach ist das mit den Dingen, die zählen.
Auf dem Strom von Kurzecks Gedanken zu reisen ist ein Genuss der gekonnt einfachen Art: Wir „treffen uns in der Stadt und fahren nach Offenbach, es kostet nicht viel und ist trotzdem woanders.“ Diese statusfreie Sicht ermöglicht es Kurzeck, das reglementierte deutsche Leben präzise einzufangen, das eines weiteren Kommentars nicht bedarf: „Amtsgericht, Post, eine neue Fußgängerzone, Kaufhäuser, Fußgänger, Jeans, Schuhgeschäfte, ein Aldi, ein Tchibo, drei Arbeitslose, vor jedem Ladeneingang drei Arbeitslose. Und große winterliche Betonblumenkästen … Eine Imbissbude, ein Schnellrestaurant, und noch eine Imbissbude, an jeder Ecke ein Schnellrestaurant und eine Imbissbude. Und jetzt kauen alle und müssen sich ducken und haben erst recht keine Hand frei. Und haben es immer noch eilig.“
Kurzeck weiß, dass er „als Schriftsteller zuständig für die Vielfalt der Welt“ ist. Und berichtet: „ ‚In Frankfurt liest heute der Hrabal‘, sagt einer. Soll der Autor jetzt sagen, da wär ich auch gern hin? – ‚Und die Wohmann‘, sagt einer, es klingt wie ein Vorwurf. Hat die Begrüßung schon stattgefunden? Die Buchhandlung ein Kollektiv, einer heißt Lutz.“ So ist das bei den kollektiven Bücherleuten: Einer heißt immer Lutz, und niemals ist das eine gute Idee oder Nachricht.
Mein Lieblingssatz von Peter Kurzeck heißt: „Sowieso verlauf ich mich gern.“