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Archiv-Artikel

ein amerikaner in berlin ARNO HOLSCHUH wird von einer Wohnung zum guten Sozialisten erzogen

Historisch gesehen ist es gerecht, dass ich in meiner Küche friere

Um mein Bild von Berlin abzurunden bin ich im letzten Monat nach Prenzlauer Berg gezogen. Manche meiner Freunde finden es schon merkwürdig, dass ich zum dritten Mal in nur anderthalb Jahren umziehe. Aber ich dachte mir, dass es gut wäre, auch den Osten der Stadt zu erleben. – Nicht, dass ich bislang tatsächlich einen einzigen ehemaligen Bürger der Arbeiter-und-Bauern-Republik kennen gelernt hätte, der obendrein im Prenzl’berg lebt. Stattdessen habe ich bereits eine Architektin aus Hessen, einen Journalisten aus Hamburg kennen gelernt sowie eine Studentin, die ihre Jugend in Washington verbrachte.

Doch ich bilde mir ein, Spuren des real existierenden Sozialismus zu entdecken. Zumindest hier in meiner neuen Wohnung. Die Gamatheizung in der Küche zum Beispiel. Diese ostdeutsche Gasofenheizung heizt nicht. Oder besser gesagt: nicht so, wie Öfen das sollten. Denn sie heizt beharrlich nur eine kleine Ecke der Küche. Alles andere bleibt so kalt wie das Herz des kapitalistischen Imperialismus, den ich als Amerikaner hier wahrscheinlich verkörpere.

Offenbar geschieht es mir, historisch gesehen, recht, dass ich es nur in Daunenweste und Wollmütze in meiner Küche länger aushalte. Natürlich würde ich es nicht wagen, der deutschen demokratischen Industrie mangelnde Qualität bei der industriellen Produktion vorzuwerfen. Vor allem wenn man wie ich aus einem Land kommt, wo die Ex- und-hopp-Mentalität geradezu zelebriert wird. Denn sicher ist dieser sibirische Effekt mit vollster Absicht der Hersteller erzielt worden. Für mich ist klar, dass die einstigen Bewohner dieser volkseigenen Wohnung sich in dieser warmen Ecke versammeln sollten, um bei einfachem, aber nahrhaftem Abendbrot voller Zufriedenheit ihre Tagesabläufe bei der Arbeiterbrigade auszutauschen.

Anders ist es wiederum mit dem Backofen. Laut einem Aufkleber auf seiner Seite entstammt er dem Energiekombinat Berlin. Ich musste lachen. Erstens, weil „Energiekombinat“ so verdammt ostig klingt. Zweitens, weil die Vorstellung von einer erfolgreich laufenden Fabrik in Berlin so absurd ist wie der Papst im Puff. Das Kombinat sollte für diesen Gedanken aber bald Rache an mir nehmen. Denn mein angeblicher „Ofen“ (äußerlich einem normalen Ofen zum Verwechseln ähnlich) scheint in Wirklichkeit den Motor eines MiG-Kampfjets zu beherbergen. Ich weiß nur, dass ich bis jetzt drei Pizzen versuchte in diesem Ofen zu backen – um nur fünf Minuten später verkohlte kreisförmige Scheiben vorzufinden.

Womit ich wieder beim einfachen Abendbrot gelandet bin. Komisch, offenbar werde ich von meiner Wohnung zum guten Sozialisten umerzogen. Wer weiß, vielleicht werde ich in einem Monat mit meiner Katze bei der Soli-Heizung sitzen und ihr von meiner Arbeit erzählen.

Doch bereits jetzt habe ich subversive Gedanken: Wie wäre es, wenn ich den Backofen dazu nutze, die Küche zu heizen? Schließlich wird es bei jedem Backversuch so tropisch wie im Bruderland Kuba. Die Pizza kann ich stattdessen auf die Gamatheizung legen, wo sie langsam, sehr langsam auftauen wird. So kann ich meiner amerikanischen Schicksalsrolle gerecht werden – und den Kommunismus ein weiteres Mal beerdigen.