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Archiv-Artikel

ebi rennt wieder EBERHARD DIEPGEN über die Abwicklung des alten Westberlin

Man muss auch jönne könne

Gibt es da eine späte Genugtuung? Berlin – das heißt natürlich das alte Berlin (West) wird abgewickelt. Den „Kampfsender des Kalten Krieges“, Rias, gibt es schon lange nicht mehr. Im SFB wird richtig aufgeräumt, Intendantin und Fernsehdirektor kommen schon mal nicht mehr zum Jubeljubiläum des Westberliner Aushängeschildes „Abendschau“. Die Personalpolitik wird’s richten. Die Morgenpost wurde von der Welt übernommen, der Tagesspiegel steht zum Verkauf. Kenntnisse aus der Geschichte der Viersektorenstadt – nein, der Zeitgeschichte – sind nicht mehr gefragt.

Sinnvolle und unsinnige Haushaltsentscheidungen werden schnell begründet: Die Strukturen des alten Westberlin müssten endlich überwunden werden. Theater, Opern, Universitätseinrichtungen. Da freut sich doch der alte SED-Genosse. Endlich auf dem richtigen Weg. Strukturen aus der alten Hauptstadt der DDR sind nicht im Fadenkreuz der Kritik, die Frontstadt „W“ wird abgewickelt. Alte Wessis – einige nennen sich Hugenotten – können ihre Rheinbundvorbehalte gegen Preußens Hauptstadt richtig abarbeiten, jetzt erst haben sie auch so richtiges Verständnis für die aus der BRD einst in die Frontstadt eingewanderte antikapitalistische Fundamentalopposition aus Wehrdienstverweigerern und Hausbesetzern. Das Notopfer Berlin und all die Kosten der Deutschen Teilung haben ihnen ja schon immer gestunken. Was belastete diese Stadt doch mit politischen Forderungen stets ihre Ruhe in der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft.

Ganz ungeschmälert kann die Freude nostalgischer Genossen allerdings nicht sein. Berlin wird im Sozialismus regiert. Der Name der Regierungsparteien, vielleicht auch die Wahlprogramme, könnten diese Illusion erwecken. Aber in Berlin werden richtig: stramm und konsequent die Fehler des Sozialismus bekämpft. Der Gefahr von Missverständnissen, man habe ja nicht dazu gelernt, setzt man sich sicherheitshalber gar nicht erst aus. Der einfachste Weg bietet sich an. Bei praktiziertem Manchesterkapitalismus oder auch schon einer neoliberalen Politik wird der Vorwurf „zu sozial“ oder „man kann nicht mit Geld umgehen“ schnell verpuffen. Also hoch mit den Kita-Gebühren, ran an die Mieten, hoch mit den Wasserpreisen, runter mit den Löhnen, weg mit Professorenstellen, ab nach Hamburg mit ausgebildeten Polizisten.

Auf den ersten Blick gibt es dafür mit der Schuldenfalle auch noch eine Begründung. Aber beim zweiten Blick? Mit dem Hinterteil wird eingerissen, was mit den Händen aufgebaut werden soll. Man schafft immer mehr Sozialhilfeempfänger, verringert die Ausgaben des Landes in einem Haushaltstitel und muss einen anderen erhöhen: Was hilft im öffentlichen Dienst dem Hausmeister, dem Dienstboten oder der Schreibkraft mehr Freizeit, wenn das Geld bei dann auch noch erhöhten Kosten für den Lebensunterhalt nicht reicht? Was passiert bei erhöhten Mieten in den sozialen Problembereichen? Das Sozialamt übernimmt, andere ziehen aus. Sozial verantwortete Politik sollte doch Spannungen in der Gesellschaft abbauen.

Wo soziale Integration notwendig ist, betreiben SPD und PDS das genaue Gegenteil. Die angeblich Reichen werden nach den Kitaentscheidungen eigene Wege gehen. Familien mit mittlerem Einkommen werden sich die Kita nicht mehr leisten können, diese Familien sind bei allen so genannten sozialen Staffelungen die Dummen. Wirklich leistungsfördernd, diese Republik. Schön auch, wenn man heute von ehemaligen Mitgliedern kommunistischer Parteien hört, Berlin habe mit seiner Politik des „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ unverantwortlich gehandelt. Da staunt ein richtiger Konservativer. Nicht dass es keine Alternative gebe. Auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts kann man nicht allein setzen. Schon gar nicht, solange der Bundesfinanzminister kein Hans im Glück sondern im Dilemma ist. Wie wäre es beispielsweise mit Reform und nicht Verunsichern der Berliner Verwaltung, mit mittelstands- und arbeitnehmerfreundlichen Ausgliederungen aus Verkehrsbetrieben, Stadtreinigung oder auch den Krankenhäusern. Verzicht auf Hauruckmethoden ist nicht Rückfall in die Konsensgesellschaft des erst wenige Jahre zurückliegenden Jahrhunderts.

Parteiprogramme kommen und gehen. Abgewickelt wird in diesen Berliner Jahren sehr viel – Bayerns SPD lässt grüßen. Kommt Oskar aus dem Saarland mit seinen Ideen zur Parteienlandschaft zu früh oder zu spät ? Die Stadt hat viel erlebt und überstanden. Links wird Berlin regiert? Darunter haben sich nicht nur alte Sozis und Sozialisten etwas anderes vorgestellt. Von sozialem Augenmaß keine Spur. Es gibt offensichtlich nur einen „Inhalt“: Man blickt auf Zahlen und vergisst das Denken.

Eberhard Diepgen war 15 Jahre lang Regierender Bürgermeister von Berlin