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Archiv-Artikel

dvdesk Wie mit Zaunpfählen winkt sie mit den Waffen einer Frau

Galt lange als verschollen: Frank Borzages „The River“ (USA 1929) liegt jetzt in rekonstruierter Fassung vor

Berge, ein Fluss mit einem reißenden Strudel, eine Schlucht und hoch oben eine Brücke, über die die Eisenbahn fährt. Das ist das Seelenlandschaftsszenario von Frank Borzages „The River“. Den Fluss hinunter kommt, auf dem Weg ins Meer, auf seinem selbst gebauten Boot der in einsamer Waldesschlucht aufgewachsene Allen John Spender (Charles Farrell), ein Kind der Natur, ein Mann, der die Liebe erst kennenlernen muss. Er geht in einem Bergarbeiterdorf für den Winter vor Anker und will mit der Bahn in die Stadt. Vorher jedoch nimmt er ein Bad im Fluss, treibt rücklings aufs Ufer zu, wo Rosalee (Mary Duncan), verwickelt, wie wir wissen, in eine melodramatische Eifersuchtsgeschichte um Mord und Totschlag, schon sitzt. Allen John, der noch keine Frau berührt hat, wird Rosalee, die ihm gleich Augen macht, kennenlernen und mit ihr die Liebe. Sie kennt die Liebe nur zu gut. Er verpasst dann mehr als einmal den Zug.

Die wilde Natur wurde für den Film höchst aufwendig im Studio erbaut. Das war möglich, denn es waren die glorreichen Zeiten des Fox-Studios. Sein Gründer und Präsident William Fox führte das Unternehmen seit dem Jahr 1915 mit großem Erfolg (in der Folge des Crashs von 1929 kam es dann zum Zusammenbruch), aber er wollte zum Geld, das er verdiente, auch die Kunst und holte deshalb den großen deutschen Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau in die Vereinigten Staaten. Murnau bekam Traumkonditionen: völlige künstlerische Freiheit, sogar die Weiterarbeit mit seinen aus Deutschland vertrauten Kollegen wurden ihm eingeräumt. So entstand im Jahr 1927 „Sunrise“, ein verwunschenes Melodram, das Großstadt und Natur in Zustände des Liebesglücks und Eifersuchtswahns versetzte.

Der neben Murnau bedeutendste Fox-Regisseur war Frank Borzage, der als Schauspieler in den Zehnerjahren begann und dann als Regisseur Karriere machte. Im Jahr 1927 hatte er mit „Der siebte Himmel“, parallel zu „Sunrise“ und ebenfalls mit dem Fox-Traumpaar Janet Gaynor und Charles Farrell in den Hauptrollen, seinen größten Erfolg – und gewann bei der Oscar-Premiere im Jahr 1929 dafür den ersten Regie-Oscar überhaupt. Schon das Setting verweist auf die Ambitionen von Fox mit „The River“, einem letzten Stummfilm in Zeiten des aufkommenden Tons. Der Film verblüffte die teils schamrot anlaufende Kritik mit seiner offen ausgestellten Erotik und fand auch das Publikum, das er suchte, nicht.

Lange galt das Werk als verschollen, dann tauchten Ausschnitte wieder auf. Aus vorhandenem Material, das gut die Hälfte des gesamten Films ausmacht, und Standbildern hat die Schweizer Cinemathèque den Film zur Wiedererkennbarkeit rekonstruiert – diese Fassung gibt es nun, mit interessanten Extras wie frühen Borzage-Filmen garniert, auf der DVD der Edition Filmmuseum zu sehen.

Die Ironie des Verlustschicksals will es, dass die melodramatischen Wendungen an Anfang und Ende des Films verloren sind – dafür aber ist der viel wichtigere mittlere Teil fast völlig intakt. Er besteht in erster Linie aus intensiven Gefühlsmodulationen zwischen den Liebenden auf ihrem Weg zum Bewusstsein dieser Liebe. Rosalee schwankt, mit den Waffen der Frau wie mit Zaunpfählen winkend, zwischen verführerischer Unschuld und nicht minder verführerischer Koketterie. Allen John, die Unschuld selbst, verpasst Zug um Zug, baut Kartenhäuser und kommt wieder und wieder zu Rosalees Hütte im Wald. Er findet aber den Ausdruck seiner Liebe – holzhackend, mit Abreise drohend – immerzu nicht. Borzage lädt die Stimmung zwischen den einander Begehrenden und lange in Unschuld Begegnenden mit schwindelerregenden Nuancen auf. „The River“ gibt sich – mit Rosalee – wissend und – mit Allen John – unwissend zugleich und lässt zuletzt die Körper in einer Weise zueinanderfinden, die immerhin den Cinephilen in Frankreich, die den Film liebten, völlig den Kopf verdrehte. Die Erotik erweckt einen Toten zum Leben, da ist es nur gut, dass der melodramatische Abgang, der im Original darauf überflüssigerweise noch folgt, nun verschollen ist.

EKKEHARD KNÖRER

Die Doppel-DVD enthält neben „The River“ drei weitere Filme von Borzage sowie eine Dokumentation über Murnau und Borzage bei Fox. Sie kostet 29,95 € bei www.edition-filmmuseum.com