dvdesk : Der Mulatte bäuchlings im Sand
Rainer Werner Fassbinders Western „Whity“ ist bis heute das unbekanntestes Werk des Regisseurs
„Whity“ ist Rainer Werner Fassbinders Western. Er entpuppte sich als finanzielles Desaster, kam erst mit zwanzig Jahren Verspätung in die Kinos und ist bis heute eines der unbekanntesten Werke des Regisseurs. Die Entstehungsgeschichte ist kurios, der Film aber ist weit mehr als eine Kuriosität. Im Jahr 1969 machte sich die Antitheater-Truppe auf die Reise nach Almeria; Peter Berling hatte von Sergio Leone die Erlaubnis zum Dreh in dessen „Spiel mir das Lied vom Tod“-Westernstadt eingeholt. Ein Saloon, ein paar Häuser, ein bisschen Sand und Wind und ab und zu ein Pferd, fertig ist der Western. Im Saloon steht Fassbinder pausbäckig mit Cowboyhut als Revolverheld. Hanna Schygulla gibt die Prostituierte und singt und tanzt vor zechenden Männern beim Pokerspiel.
Peer Raaben hat für den Soundtrack eine Musik geschrieben, die das Klischee zitiert und es ernst genug nimmt, um es immer wieder auf leicht atonale Abwege zu führen. Das ist kongenial, denn „Whity“ ist ein Film, der das Genre mit ein paar Versatzstücken zunächst nachstellt und doch im südspanischen Sand ein Demütigungsszenario entwirft, das mit Hollywood wenig zu tun hat, mit Fassbinder jedoch sehr viel. (Ein atmosphärisch verwandtes Stück aus Hollywood ist Don Siegels finstere Geschlechterkampfstudie „Betrogen“ aus dem Jahr davor, in der Clint Eastwood zwei Frauen zum Fraß vorgeworfen wird.)
Wie tot nach einem Duell liegt in der starren Einstellung des Vorspanns Whity (Günther Kaufmann) bäuchlings im Sand, während ein wirkungsvoller V-Effekt die vertrauten Namen der im Western gestrandeten Fassbinder-Truppe auf der Leinwand erscheinen, von Harry Baer bis Uli Lommel, von Kurt Raab bis, erstmals, Michael Ballhaus. Die Kameraarbeit zählt zu den großen Stärken des Films. Denn wie Ballhaus den zum Starrkrampf neigenden Szenen jene Fluidität gibt, für die er dann berühmt wurde, durch diese Fluidität aber den Krampf keineswegs lockert, sondern zu Tableaus modelliert, das führt schlagend vor Augen, wie zwei sich auf Anhieb finden können, die füreinander gemacht sind.
Fünfzehn Minuten vergehen, dann hat der Plot das erste Bild in wüstester Manier eingeholt. Günther Kaufmann ist Whity, der Mulatte, Sohn der schwarzen Köchin im Hause Nicholson, Folge eines Fehltritts des sadistischen Familienvaters Nicholson (Ron Randell). Seine zweite Frau (Katrin Schaake) ist nymphoman, Sohn Frank (Ulli Lommel) schwul und der andere Sohn, Davy (Harry Baer), hängt schwer geisteskrank in den Seilen. Whity, Bediensteter in roter Livree, wird schikaniert und gedemütigt, wann immer es geht. Seine Mutter bespuckt ihn, der Hausherr peitscht ihn aus, im Saloon wird er aus rassistischen Gründen halb zu Tode geschlagen.
Zugleich wird er zum Schnittpunkt des Begehrens. Die Frau des Hauses pflegt seine Wunden, der schwule Sohn küsst ihn, und alle wünschen den Tod des grausamen, betrügenden und betrogenen Vaters von Whitys Hand. Weiß, ins Grünliche schimmernd, sind die Gesichter der Familienmitglieder geschminkt, wortlos und starr sitzen sie am Tisch, intrigieren im Hinterzimmer und verfügen nach Lust, Laune oder auch getrieben von ihren Obsessionen über Whity, den Mann, der am Ende blutig Rache nehmen wird.
Das größte Extra der DVD ist Robert Fischers Dokumentation über „Fassbinder in Hollywood“ von 2002. Sie handelt von Ambivalenz, denn Fassbinder wollte nach Hollywood, aber zu seinen Bedingungen. Er wollte das große Publikum, aber, wie er in einem kurzen Interviewausschnitt sagt, ohne die Verlogenheit Hollywoods. Michael Ballhaus erinnert sich, vor seinem Swimmingpool sitzend, an Dreharbeiten und wie man gemeinsam die Ästhetik der schwierigen, aber schönen Kamerabewegung entwickelte.
Vor allem aber ist Ulli Lommel, Koautor des Films, in penetranter Manier präsent, Fassbinders Mann in Hollywood bis heute. Er erzählt, im Trenchcoat mit Hut, auf Englisch Fassbinder-Anekdoten. Nach einer außerordentlich schwierigen Einstellung in „Whity“ sah Fassbinder zum ersten Mal die Aufnahmen, ganz sicher, dass Ballhaus das nie und nimmer hinbekommen haben konnte. Wie vom Donner gerührt trat er hinterher zu Lommel und sagte nichts weiter als: „This man is a fucking genius.“ Die weniger jugendfreien Anekdoten zu „Whity“ kann man in Peter Berlings „Die 13 Jahre des Rainer Werner Fassbinder“ nachlesen oder in „Warnung vor einer heiligen Nutte“ nachsehen, dem Film, der die turbulenten Dreharbeiten zum Vorbild hat.
EKKEHARD KNÖRER
„Whity“ von Rainer Werner Fassbinder. Kinowelt Home Entertainment, 19,95 €