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donna leon: es steht schlimm um die contessa von WIGLAF DROSTE

„Es gibt wirklich sehr viele Menschen, die bloß lesen, damit sie nicht denken dürfen“, schrieb Georg Christoph Lichtenberg in den „Sudelbüchern“. Damit ist über die Leser von Bestsellerschwarten schon alles gesagt. Denn genau so liest man dieses dicke Zeug: Weggetreten saugt man es ein und verschlingt es, nicht um den Kopf anzuregen, sondern um ihn abzustellen. Daher kommt das Wort Leseratte: Man frisst wahllos Krempel in sich hinein und hat Vergnügen daran. Gern bedienen sich dieser wohltuenden Pausentaste auch Leute, deren Kopf ohnehin chronisch auf null steht. Die sind schon vom Netz und wollen trotzdem immer noch abschalten.

Auch das sich gehoben und gebildet dünkende Publikum hat ein starkes Bedürfnis nach einer Literatur, die sich möglichst widerstandslos verdrücken lässt, nur soll es eben mit Niveau sein, nicht so flach. Diese Leserschaft wird seit Jahren kompetent bedient von Donna Leon. Ihre Kriminalromane spielen in Venedig, die Hauptfigur, Commissario Guido Brunetti, liest griechische Klassiker im Original und schenkt Humanismus aus, wenn er sich nicht gerade fürs Essen interessiert. Die eigentliche Hauptfigur, Signora Paola Brunetti, lehrt an der Universität und hat das Herz einer Löwin. Wie ihre Schöpferin Donna Leon ist sie eine intellektuelle Kriegerin gegen Laschheit und Feigheit. Deshalb dreht es sich in Donna Leons Krimis um schwere Weltbedrückungen: Giftmüllskandale, Kindesmissbrauch, die Mafia, Snuff-Videos, Handel mit radioaktivem Material – Themen allesamt, bei denen man vorzeigen kann, dass man auf der richtigen Seite steht.

In „Nobiltà“ wird Donna Leon ihren Gegnern ähnlich und breitet eine Mischung aus aufgepinselter Menschenliebe und dem Bedürfnis nach Selbstjustiz aus. Weil in jedem ihrer Bücher das jeweils ab gehandelte Verbrechen stets das schlimmste von allen ist und es hier um einen Entführungsfall geht, wird in „Nobiltà“ gegen die Entführungsbranche angeschrieben: „Brunetti hatte Entführung schon immer als das scheußlichste aller Verbrechen angesehen, nicht nur, weil er zwei Kinder hatte.“ Denn wer sich fortpflanzt, erwirbt das Recht auf Atavismus und Schniefnase: „Der arme Junge. Die armen Eltern.“ Den guten alten Groschen hat Donna Leon auch drauf: „Am schlimmsten aber stand es um die Contessa.“ Ob es der Spagat zwischen Courths-Mahler und Menschenrechting ist, den das deutsche Publikum an Donna Leon so liebt?

Der jüngste Roman, „In Sachen Signora Brunetti“, ist eher ruhig erzählt, fast ohne den Eifer, den das Thema hat: Eine Frau steht auf gegen den Sextourismus, rabumm! Moralisch edel trägt Donna Leon ihre Sache vor, und die klingt nicht selten so: „Als der Fisch aufgetragen wurde, war die Gesprächsführung inzwischen auf Dottoressa Santa Lucia übergegangen, die als Kultur-Anthropologin gerade von einer Forschungsreise nach Indonesien zurückgekehrt war, wo sie ein Jahr lang familiäre Machtstrukturen studiert hatte.“

Lesen ist das Freiwilligste, das es gibt, und deswegen höre ich nach solchen Sätzen auf.

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