die wahrheit: Prekäre Touren
Urlaub ganz anders: Die Reichen dieser Welt verreisen mit PrekTours nach Mallorca.
Als Axel Kollmann plötzlich mit einem Glas Sekt aus dem Cockpit tritt, spüren alle Passagiere, dass diese Reise etwas Besonderes sein wird. "Nun lasst uns auf euren Urlaub anstoßen", sagt er mit seiner knorrigen Reibeisenstimme, die keinen Widerspruch duldet. Alle Fluggäste erheben ihren Plastikbecher mit lauwarmem Billig-Prosecco, strahlend vor Glück: Denn dieser Augenblick ist nicht im Reisepreis inbegriffen, diese Begegnung mit Axel Kollmann persönlich, dem legendären Gründer der Unterschichtsfluglinie PrekAir.
Eine halbe Stunde später setzt der Airbus A 320 butterweich auf dem Rollfeld von Palma de Mallorca auf. Die 162 Passagiere klatschen erleichtert, haben doch einige der 27 Jahre alten Maschine einen so reibungslosen Flug nicht unbedingt zugetraut. Die Superreichen in der Maschine eint eine Woche Urlaub, wie sie ihn noch nie erlebt haben. Jeder hat dafür 12.500 Euro bezahlt - für saarländische Heimatabende und Nachtwanderungen, Abwasch-Wettbewerbe und Kartoffelschäl-Turniere, Sackhüpf-Strandpartys mit Bockwurst und Bier bis zum Abwinken.
Menschen wie Kevin und seine Frau Fiona aus Gera, Peter und Inge aus Kulmbach, Gregor und Marlene aus Speyer, sie alle haben viel Geld gemacht, einer von ihnen hat gerade seine Heizdecken-Firma für 25 Millionen Euro verkauft. Mit einem Urlaub auf Ballermann haben sie sich einen der letzten offenen Wünsche erfüllt.
Unterschichtsreisen wie die von Kollmanns PrekTours verkaufen sich so gut wie noch nie bei den Reichen dieser Welt - je eigenwilliger sie sind, desto erfolgreicher. Weltweit ist die Nachfrage nach solchen Angeboten stark angestiegen. Eine Studie der Universität Leyden hat herausgefunden, dass der Trend in der Tourismusbranche zukünftig immer mehr in Richtung Proll Chique gehen wird: immer differenziertere Nischenprodukte, die einer übersättigten Klientel den Reiz des Besonderen bieten können. So wie bei den anderen Reisen der PrekTours Limited Edition, Axel Kollmanns Kollektion von außergewöhnlichen Destinationen: eine Müllsammel-Safari in Miltenberg, ein dreiwöchiger Aufenthalt im Zentrallager des KaDeWe, ein Kloputz-Wochenende im Klinikum Großhadern.
Die anderen großen Reiseanbieter haben mittlerweile, wenn auch mit einiger Verspätung, auf diese Entwicklung reagiert: Nun legte Kuoni mit "Kuoni Prekär" einen Billigkatalog vor, bei Thomas Cook heißt das Angebot "Premium Proll", TUI nennt ihren Luxus-Low-Budget-Bereich "TUI Hartz". Eine Kundengruppe, die weltweit immer wichtiger wird: Menschen, die bei Dallmayr und Gucci einkaufen und in ihrem Urlaub der sterilen Luxusboutiquen-Langeweile entfliehen und in den spannenden Prekariats-Alltag eintauchen wollen. "Weil sie die kostbare kurze Zeit ihres Urlaubes so crazy wie möglich gestalten wollen, sind sie bereit, viel Geld dafür auszugeben", sagt Professor Heinz-Peter Mark vom Tourismusinstitut der Universität Konstanz. "Der moderne Hybridkunde, wie wir ihn nennen, bucht deshalb zunehmend Holzklasse." Die Frage lautet hier, wie das Reiseerlebnis aussehen muss, für das er viel Geld hinlegt. Darüber zerbricht sich eine ganze Branche den Kopf: Wie verschafft man der verwöhnten Klientel den gewünschten Thrill? Sind es nackte Glühbirnen an der Zimmerdecke, durchgelegene Matratzen oder doch eher die Gemeinschaftsdusche im Hotelflur?
"Luxus ist heute zu etwas sehr Subjektivem geworden", sagt Professor Mark, der Tourismusforscher. "Wir unterscheiden zwei große Strömungen: den materiellen Luxus, wie er derzeit besonders in Dubai und anderen arabischen Emiraten verwirklicht wird. Und den ideellen Luxus, bei dem es den Menschen nicht um vergoldete Wasserhähne geht, sondern um ein besonderes emotionales Erlebnis, zum Beispiel den Besuch in einem echten Aldi-Markt." Die übersättigten Menschen aus den westlichen Ländern, die schon die ganze Welt gesehen haben, suchen immer öfter die Authentizität des echten Unterschichtslebens, das sie nur noch aus den Medien kennen.
Ständig entwickeln Hoteliers deshalb neue Ideen, mit denen sie sich gegenseitig übertrumpfen: Die Hilton-Kette peppt ihre Häuser mit einem Restaurant im Kantinenlook auf. In Dubais 7-Sterne-Resort "Klitsch al-Arab" bezieht der Gast wie ein Montagearbeiter aus Bangladesh einen Wohncontainer, und im "Arabella Minigolf Hotel Braunschweig" muss der Gast wie in der Arbeitsagentur eine Nummer ziehen, bevor er den Speisesaal betritt. "Das sind die kleinen Tricks. So hat der Gast nie das Gefühl, in einem sterilen Luxushotel zu sein", verrät Hotelmanager Hauersen. Dazu dreht sich alles um die Frage, wie man den Service noch übellauniger, noch nachlässiger hinkriegt, so dass sich die miese Laune der Angestellten auf den Gast überträgt.
Auf Mallorca liegt Axel Kollmann mittlerweile in einer Hängematte und winkt den Gästen zu, die von der gestrigen Abschiedsparty verkatert ihre Heimreise antreten. Bis die nächsten Urlauber kommen, will er noch ein paar Stunden arbeiten; er hat sich Papiere mitgebracht: das "PrekTours Pütt-Projekt". Ab 2008 sollen Menschen Urlaub im Bergwerk machen können, in einer eigens dafür ausgebauten Zeche in Bottrop. Ein zweiwöchiger Aufenthalt unter Tage soll 18.000 Euro kosten, sagt Kollmann, "aber wir können uns vor Anfragen kaum noch retten".
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