die wahrheit: Unter Verlegern
"Der Verleger ist der natürliche Feind des Redakteurs", erklärte mir einmal Günter Gaus, dessen Schüler zu sein ich die Ehre hatte. Vor schwierigen Schlachten...
... pilgere ich zum Grab des heiligen Günter auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte, um Kraft zu schöpfen. Einst hatte ich hier vor dem grauen Grabstein kniend mein Leben dem Kampf wider den Kummer in der Welt gewidmet. Und am Dienstag dieser Woche brauchte ich des Weisen Zuspruch mehr denn je: Ich sollte unter die Verleger fallen - als Feindbeobachter.
Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger hatte für sein Sommerfest 2008 das Berliner Olympiastadion gemietet, und es wurde tatsächlich ein außergewöhnlich brutales Scharmützel zwischen mir und dem BDZV. Ich kämpfte an gegen Langeweile und Trostlosigkeit, Größenwahn und Blasiertheit. Nichts ist so öde wie fünfhundert in Business-Anzüge und -Kostüme gerüstete Verleger, die am Handgelenk schwarz-rot-goldene VIP-Bändchen durch ein leeres Stadion tragen. Langsam ahnte ich, was Gaus meinte.
Dabei hatten sie mich mit einem funkelnden Köder gelockt: Als Höhepunkt des Festes sollte das EM-Spiel Frankreich gegen Italien am Ort des WM-Endspiels von 2006 zu sehen sein. Die Neuauflage des Weltmeisterschaftsfinales als Verleger-Viewing.
Zuvor aber traten zwei erlesene Truppen auf dem Rasen des Olympiastadions gegeneinander an: der mit diversen Chefredakteuren verstärkte "FC BDZV" gegen den mit Parlamentariern aller Fraktionen bestückte "FC Bundestag". Den Anstoß sollte der Polizeiminister Wolfgang Schäuble ausführen, der allerdings kurzfristig abgesagt hatte. Ihn vertrat Franz Josef Jung. Der Kriegsminister zwängte sich sogar in ein rotes Trikot der Bundestags-Elf, nachdem er die Zuschauer bei seiner Eröffnungsansprache mit einer Salve von Fußballphrasen belegt hatte: "Die Wahrheit liegt auf dem Platz", sprach er ins Mikrofon. "Die Wahrheit ist: Der hat ganz schöne Männertitten", bemerkte eine kluge Dame im Publikum, die ganz sicher keine Verlegerin war.
Die Verleger gaben derweil Kommandos in ihre Mobiltelefone, wichtige Eilbotschaften an die Heimatfront wurden abgesetzt, auch wenn wahrscheinlich auf der anderen Seite der Dienstleitung gar keine Befehlsempfänger waren. Aber den ebenfalls aus der Provinz angerückten Konkurrenten musste demonstriert werden, dass man allzeit bereit war im Einsatz für das Wohl der Wirtschaft. Nur für einen Moment verstummten alle, als der größte lebende deutsche Verleger auftrat. Mit dem Blick eines Feldherrn, der das Terrain abschätzt, schritt der Springer-Führer Mathias Döpfner einsam die Stufen zum Felde der Ehre herab.
Das Olympiastadion hat von Hitler bis Hertha schon viel gesehen. Aber was sich an diesem Abend in der Ehrenloge tummelte, war eine Rotte von branchentypischen Windbeuteln und Schaumschlägern, die zu ertragen nur möglich war mit der Erinnerung an die herzergreifende Redlichkeit eines Günter Gaus.
Das Spiel Verleger gegen Politiker ging schließlich 2:1 aus. Beide Tore für seine Truppe schoss der Springer-Schütze Jan Eric Peters. Da war ich bereits unverletzt der Verlegerhölle entronnen. Sankt Günter, sei Dank!
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