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die wahrheitDas Tüpfelchen auf dem Ü

Die Kümmel-und-Knoblauch-Woche der Wahrheit: Der Türke und seine Küche.

Verglichen mit dem Überfluss türkischer Kochkunst ist die heimische nur ein Glühwürmchen über einem Tümpelchen. Wer sich je beim Dünenfrühstück an der Süderelbe mit gekrümmten Gewürzgürkchen und dünner Sprühsahne begnügen musste, hätte sich genüsslich ins Süßwasser gestürzt, und mancher Küstensegler würde stündlich über den Süllrand kübeln, auch wenn keine Stürme wüten.

Bei den Ungetümen, die küchenunwürdige Frührentner verüben, kann einem blümerant werden. Würstchen wie Geschwüre, trübe Brühwürfelaufgüsse und Rührteigprüderien können einen gründlich ins Grübeln bringen. Wüstes Rühren führt zu Klümpchentümelei und Schüttelfrost.Das Fleisch behüteter, glücklicher Kühe ist ebenso schmackhaft wie ein Zürcher Geschnetzeltes oder trübe Sülze, die gelatineüberstülpt auf den Teller gelangt.

Doch die türkische Küche ist viele Sünden wert. Kühn und ohne Attitüde steht der Küchenfürst mit seiner Kochmütze im wüsten Gewühl getürmter Töpfe und reüssiert. Er prüft unermüdlich, ob die glühenden Holzkohlewürfel die gewünschte Temperatur erzeugen.

Gülden und saftig sollen sie werden, die Hühnerbrüstchen. Prüfend drückt der Türke Gewürztütchen an die Nüstern und mümmelt Kümmelkrümel, während sein Gehülfe unermüdlich Trüffeln für die gefüllten Überraschungen zerstückelt. Man möchte sich verzückt zurücklehnen, während sich der Rüssel mit den Ausdünstungen der Küche amüsiert.

Bereits im Frühtau zieht der Türke zum Süpermarketler, um frisches Gemüse, Brühkäse, Bündel grüner Bohnen, Suppengrün und die süßesten Türkischen Früchte zu erstehen. Auch die mühsam am Südbalkon gezogenen und mit Gülle unermüdlich gedüngten knüppeldicken Kürbisse, üppige Südfrüchte und ein Krüglein Olivenöl dürfen nicht fehlen. Schließt er seine Küchentür, muss man in Strümpfen hineinschlüpfen, um vom Verführer im Flüsterton sorgsam gehütete Rezepte übermittelt zu bekommen, die nur mündlich an Vertrauenswürdige überliefert werden.

Die Frühjahrsmüdigkeit weicht stürmischen Glücksgefühlen, das Frühstücksmüsli verkümmert in der Büchse, greift ein türkischer Koch zur Spritztülle und garniert gefühlvoll Mürbteigstücke. Hinter der Kühlschranktür wohnt die Erfüllung. Der Türke tut alles, die Würde der Hülsenfrüchte nicht zu erschüttern. Der Künstler rührt, er zertrümmert nicht. Andernorts plündern rüde Hünen gründlich die Regale mit Günstigem, erweisen sich in der Küche jedoch als knülle Stümper.

Abgefüllt mit Kümmerling, Gewürztraminer und Süßwein vom Ürziger Würzgarten bleiben ihre Künste kümmerlich. Überheblich wie brünstige Wühlmäuse glauben diese Schlümpfe, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Ihre Rankünen führen pünktlich zu kühler Begrüßung und Würgereflexen. Bei den Süßspeisen überstürzen sie das Stürzen und zücken bestürzt Grütze oder Fürst-Pückler-Eis aus dem Kühlfach, um die schlüpfrige Pfütze zu übertünchen, in der ihre Überfliegerbemühungen mündeten.

Wenn der beschürzte Türke den Rührlöffel in die Hüften stellt und prüft, ob die knoblauchgespickte Lammschulter noch einiger Minütchen bedürfte, um mürbe zu werden, drückt die letzte Krücke, die sich von der Muse geküsst glaubt, die gewürfelte Rübe tückisch in den Müllkübel.

Mit wütender Zurückhaltung und dem Bedürfnis, die dionysischen Gewürzkaskaden zu übertrumpfen, überprüfen sie Stück für Stück ihre dürftigen Bemühungen, zerknüllen ihr Menü und versuchen zu ergründen, warum auch mit Blüten von Frühblühern geschmückte Büfetts tüchtig am Selbstwertgefühl rütteln, wenn es kübelweise übrig bleibt. Lag es am Stubenküken mit Gewürznelken, am Tümmler mit Frühlingszwiebeln, oder hat der Flüssigkeitsverlust das Püree von thüringischen Frühkartoffeln hart wie ein Gürteltier werden lassen?

Üblicherweise kommt es zu Prügeleien und Verwünschungen. Aber sogar verdübelte Küchentüren lassen keine begründeten Zweifel am überragenden Fingerspitzengefühl des türkischen Küchenchefs zurück. Er entlockt Dürers Melancholie ein Rülpsen. Mürrische, fünfzehnjährige Rütlischüler mit offenen Schnürsenkeln berührt es, wenn sie spüren, dass er einen Döner aus Myriaden dünner Stückchen zusammengefügt hat.

Seine von flüssigem Honig triefenden Süßigkeiten mit Rosenblütendüften machen aus kühlen Brünetten lüsterne Schoßhündchen. Sie vergessen das Schmollmündchen und hüpfen aus dem Schlüpfer.

Geübte Jünger des Lukull haben nach einem türkischen Menü stets gewünscht, bevor sie stürben, sei ihnen das Glück gewährt, die mit Nüsschen gefüllten süßen Stückchen aus tülldünnem Blätterteig mit ihrem lüsternen Zünglein gefühlvoll noch einmal zu zerpflücken. Die türkische Küche ist Synonym für Glück und Erfüllung. Sie gibt dir alles, nur keinen Unterzucker.

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