die taz vor zehn jahren über die schröder-spd auf dem weg zurück nach vorn :
Man braucht nicht in die Details des SPD-Wahlprogramms zu gehen, um die Botschaft des Leipziger Parteitages zu verstehen. Die SPD ist zu Helmut Schmidt zurückgekehrt. Der Auftritt des Ex-Bundeskanzlers auf dem gestrigen Parteitag war mehr als eine Grußadresse – es war die zentrale Botschaft. Kein Zufall, daß sich auch Gerhard Schröder bei seiner matten Rede gestern permanent auf Schmidt berief. Die Schmidt-SPD ist wieder da. Modernisiert, aber dort, wo sich der erste Angestellte der westdeutschen Republik immer gesehen hat – in der Mitte der Gesellschaft. Es gab in der SPD in den 60ern und 70ern zwei Traditionslinien: die Brandt-SPD und die Schmidt-SPD. Brandt bedeutet eine Mehrheit links von der CDU, Schmidt bedeutet die Fortsetzung der CDU mit sozialdemokratischen Mitteln. Der Unterschied zwischen der CDU und der neuen Schmidt-SPD läßt sich denn auch auf einen traditionellen Punkt reduzieren. Die Verteilung gesellschaftlichen Reichtums in Form bezahlter Arbeit soll wieder gerechter gestaltet werden. Das ist nicht nichts, aber mit gesellschaftlichem Aufbruch und Innovation hat es nichts zu tun. Unter Innovation versteht Schröder einen neuen VW-Motor, Gentechnik und Biotechnologie. Als neue Möglichkeit zur gesellschaftlichen Partizipation hat er in Leipzig vorgeschlagen, künftig mehr Gesetze zeitlich zu befristen, damit der Bundestag dann erneut darüber diskutieren kann – so stellt sich Schröder die Bürgerinitiative der Zukunft vor. Schmidt, den Schröder nun beerben will, galt als Macher. Seine Hinterlassenschaft sind Tonnen strahlenden Atommülls und die grüne Partei. Schmidt hat die SPD mindestens eine Generation der kritischen Intelligenz gekostet. Der technokratische Kurs der Führung hat die Partei intellektuell ausgetrocknet und für neue gesellschaftliche Entwicklungen blind gemacht. Der jetzige Höhenflug der neuen Schmidt-SPD wird, auch nach gewonnener Wahl, zu ähnlichen Ergebnissen führen. Jürgen Gottschlich, taz 18. 4. 1998