die taz vor neunzehn jahren über den bundesdeutschen autobahnwahnsinn :
Italien hat für die Urlaubszeit ein Tempolimit eingeführt: 110 Stundenkilometer auf der Autobahn, 90 Stundenkilometer auf allen Straßen außerorts. Die bayerische CSU hat Sinn und Zweck dieser Maßnahme sofort erkannt: Wir Deutschen – dick, häßlich, aber devisenstark – sollen ausgeplündert werden. Die Spaghettis wollen an unseren Geldbeutel. Skandal!!
Es ist nicht nur dumpfer Rassismus, der sich da Luft macht. Hier spricht zugleich die Entrüstung über eine zwingende verkehrspolitische Intervention, gegen die sich die Auto-Koalition CDU/CSU/FDP seit Jahren hartnäckig wehrt. Italienisches Tempolimit gegen deutsche Automanie. Ausgerechnet aus Italien bekommen die „grünen Sektierer“, die den BMW an die Kette legen wollen, jetzt Schützenhilfe.
Mühsam war die kollektive Verdrängung von jährlich 10.000 Verkehrstoten und den vielen guten Argumenten für ein Tempolimit erreicht worden. Mühsam hatte man wieder begonnen, an die eigene Propaganda zu glauben. Und jetzt dieses. Ein paar läppische Fakten: 55,8 Prozent aller Verkehrsunfälle mit Todesfolge gehen (laut offizieller Statistik für die Bundesrepublik 1985) auf überhöhte Geschwindigkeit zurück. In den Vereinigten Staaten sind in den letzten zehn Jahren durch das dortige Tempolimit 65.000 Menschen gerettet worden. Wieviel Grips braucht man eigentlich, um solche Sachverhalte zu begreifen, und wie viel Energie, um derart hirnlos dagegen anzurennen?
Deutsche Autofahrer, die aus Italien zurückkommen, berichten mit Vergnügen über Erlebnisse auf italienischen Straßen. Der Tenor lautet stets: Der zivilisierte deutsche Autofahrer im Lande der Halbwilden. Richtig ist es umgekehrt. Die Deutschen haben die schlechtere Unfallbilanz, sie fahren preußisch-rechthaberisch, stur, besoffen schnell und unfallträchtig. Und sie haben nach wie vor als einziges Land Europas kein Tempolimit.
Manfred Kriener in der taz, 26. 7. 1988