die stimme der kritik: Betr.: Heiteres Beruferaten
VON CHARAKTERDESIGNERN UND ZWITSCHERDEUTSCHEN
Es war immer noch Sommer, und wir saßen am Abend herum. In der Zeitung stand was über Jürgen Rüttgers, der mal Zukunftsminister war, wie Jürgen Möllemann spöttisch zu sagen pflegt. Rüttgers hatte stolz darauf verwiesen, dass in seiner Amtszeit 32 neue Ausbildungsberufe erfunden worden wären. Und Möllemann, der etwas Oberwasser hat, versuchte sich am Sonntagabend als Studiogast bei den „Big Brothers“ einzuschleimen. Während Jürgen leider nicht rausflog, schlug Möllemann, immer lustig, vor, doch auf den nächsten Bundestagswahlkampf zu verzichten und stattdessen Schröder, Merkel, Gunda Röstel und Guido Westerwelle für vier Wochen in eine beobachtete Fernseh-WG zu stecken. Nur Michel Friedman hatte der nie um pfiffige Ideen verlegene Möllemann vergessen; Michel Friedman gehört da unbedingt rein; Michel Friedman, der begeisterte Demokrat, ist 43.
Wir waren auch schon fast vierzig und wussten immer noch nicht, was wir einmal werden sollten oder auch inzwischen geworden waren. Vor ein paar Jahren war das noch klar gewesen; ein Blick auf meine Visistenkarte genügte und ich wusste, wer ich war: „Theorie/Praxis“, später dann „Dialogforscher“. Und nun? Keine Ahnung. Große Identitätskrise. So sprachen wir über erstrebenswerte Berufe. Schön wäre es, „Fachmann“ oder „Experte“ zu sein, obgleich das ein wenig windig klingt. Oder „Konzeptautor“ mit Aussicht auf eine Konzeptkoordinatorenlaufbahn. Charakterdesigner im Zlatko-Team wäre auch eine prima Geschichte.
Im Fernsehen trat ein sympathischer „Hundeflüsterer“ auf. Er hatte einen großen, großen Handschuh an. Seine Stärken liegen in der Hundeerziehung. Astromediziner wäre auch nicht schlecht oder Kommissar Rex oder Zwitscherdeutscher. Nur das, was man selbst macht, scheint irgendwie langweilig. So verfielen wir in Trübsinn, der sich erst klärte, als eine Buchhändlerfreundin uns von einem mies gelaunten Ausflug ins Brandenburgische erzählte, bei dem die Stimmung erst wieder ins Heitere umschlug, als man an einem sympathischen mittelständischen Geschäft vorbeikam. Es hieß nicht „Pietät Loos“, was ja auch schon toll gewesen wäre, sondern „Bestattungs-Möse“. DETLEF KUHLBRODT
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