die kopftuchdebatte in berlin (teil 2) : Riza Baran fordert einen Diskurs
Ein Kopftuchverbot wäre der Höhepunkt in einer langen Geschichte von Versäumnissen in der Ausländerpolitik
Ende September entschied das Bundesverfassungsgericht, dass muslimischen Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch nur per Landesgesetz untersagt werden kann. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) will nun per Gesetzesnovelle das Kopftuch gleich aus dem gesamten öffentlichen Dienst verbannen. Das ist nicht unumstritten. In der taz-Debattenserie erklärt heute der Grünen-Politiker Riza Baran, warum er Körtings Initiative für falsch hält:
Verbot ist simpel. Dialog ist anstrengend. Wenn der Innensenator nun mit einem Kopftuchverbot ein Exempel statuieren will, demonstriert er, dass er 40 Jahre Berliner Migrationsgeschichte nicht verstehen will. Ein Kopftuchverbot wäre der Höhepunkt in einer langen Geschichte von Versäumnissen in der Ausländerpolitik. Gerade in Berlin, das immer als ein ethnischer Schmelztiegel begriffen wurde und das daraus auch einen nicht unerheblichen Teil seiner Metropolenidentität zieht, sind die Fehler, die gemacht wurden, gravierend. Die Integration ausländischer Mitbürger, die eine Voraussetzung wäre für ein faires Miteinander von Deutschen und Nichtdeutschen, ist bis heute für die meisten Politiker nur rhetorische Floskel. Integration ist nicht verordnete Assimilation, wie es in der Diepgen-Ära verfochten wurde. Und Integration gibt es nicht zum Nulltarif. Fehlendes Geld muss heute als Grund für die Verschleppung integrativer Ansätze in der Ausländerpolitik durch den Senat herhalten.
Welche Fehler wurden gemacht? Jahrelang gefiel es den Deutschen, zu glauben, dass die ArbeitsmigrantInnen sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten. Auch die MigrantInnen selbst haben zu lange auf diesem Traum einer Rückkehr beharrt. Spätestens seit die ersten ihrer Kinder hier geboren wurden, hätten sie sich öffnen und die Politiker eine Infrastruktur bereitstellen müssen, die die Kinder beim Jonglieren zwischen der Herkunfts- und der deutschen Kultur unterstützt. Aber die Folgen der Migration wurden in Schulen, Kitas und Gesundheitswesen nicht oder nur zögerlich aufgenommen.
In Berlin vergehen in der Regel zehn Jahre, bis Vorschläge zur besseren Integration, die meist von den MigrantInnen selbst kommen, von den regierenden Parteien wahrgenommen werden. Keine Ausländerregelklassen, zweisprachige Erziehung in den Kitas, Alphabetisierung in Deutsch und der Muttersprache, Sprachkurse für Mütter, Übersetzung einfachster Verordnungen – alles muss auf langen Verwaltungswegen durchgesetzt werden. Heute sind dies die verlorenen Jahre der Integration.
Die spezifische Berliner Situation – Insellage zu Mauerzeiten, in der mit ungewöhnlichen Lebensentwürfen experimentiert wurde, sowie die ökonomischen und kulturellen Umwälzungen nach der Maueröffnung – haben bei vielen MigrantInnen, die zum Großteil aus dörflichen Milieus stammen, zu Abgrenzungstendenzen geführt. Das hat die Orientierung an der eigenen kulturellen Tradition verstärkt. Das Kopftuch steht für diese Entwicklung. Eine Zunahme von Kopftuchträgerinnen wurde in den letzten Jahren beobachtet.
Hinzu kommt, dass durch Verbote und Verordnungen ein Gefühl des „Wir sind hier unerwünscht“ bei vielen MigrantInnen verstärkt wird. Zuzugsstopps in einigen Bezirken und Restriktionen beim Familiennachzug gehören ebenso dazu wie Kampagnen führender Politiker gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder ein Einwanderungsgesetz. Solches Handeln zementiert auf deutscher und auf nichtdeutscher Seite das Fremde anstelle des Gemeinsamen. Kopftuchzwang auf der einen und Kopftuchverbot auf der anderen Seite sind deshalb im Grunde zwei Seiten einer Medaille.
Die Kernfrage lautet demnach: Wie wird mit Menschen umgegangen, die hier leben, aber andere Überzeugungen, Glauben, Kultur und Sozialisation haben? Ich bin dafür, dass man mit ihnen einen gesellschaftlichen Diskurs führt und dass die Bedingungen geschaffen werden, dass man ihn auch führen kann. Was will eine Frau mit Kopftuch? Was will ein Mann mit einem Kreuz um den Hals? Wollen sie missionieren, die Welt verändern oder wollen sie ihren individuellen Überzeugungen Ausdruck geben? Ist es Mode? Unterwerfung? Abgrenzung? Laune? Ob es uns passt oder nicht, damit müssen wir uns auseinander setzen, um die Auseinandersetzung mit denen, die die Köpfe der Frauen zum Schauplatz von Ideologien machen, führen zu können. Die, die für das Kopftuch sind, dürfen ihre religiösen Überzeugungen nicht gegen das Grundgesetz stellen. Und die, die das Koptuch verbieten wollen, müssen erklären können, warum. Zu sagen, ihr seid hier und deshalb dürft ihr keines tragen, reicht nicht. Dadurch wird vor allem ein Misstrauen gegenüber der eigenen Demokratie signalisiert. Wir haben hier eine stabile Demokratie. Und die muss Diskussion aushalten. Toleranz heißt nicht Dialoglosigkeit. Dialog fordert von beiden Seiten Offenheit und Verbindlichkeit. Dazu ist eine Vertrauensbasis notwendig, auf der die unterschiedlichen Positionen ausgetauscht werden. Verbot aber heißt: Es gibt keine Verbindung mehr. Da ist eine Mauer dazwischen. Was Mauern zwischen Menschen bedeuten, sollte man in Berlin wissen. RIZA BARAN
Der Autor ist Integrationspolitiker bei den Grünen und Vorsteher der BVV Friedrichshain-Kreuzberg.Morgen: Der Islamwissenschaftler Michael Lüders