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Archiv-Artikel

die clubkolumne Warum schweigen Rapper zum Krieg?

Verlorener Nachrichtenkanal

Die beiden führenden Popnationen greifen an, mit allem, was dazugehört und dagegenspricht. Da wäre eigentlich mal wieder ein Paradigmenwechsel im Pop fällig. Das war bis jetzt immer so: die Erfindung des Teenagers, die Hippie-Revolution – alles auch durch Kriege bedingte Phänomene. Erst im Verhältnis zum Vietnamkrieg konnte die psychedelische Bewegung politisiert werden, was wiederum zum Material von Musikentwürfen wurde, prägend für Rock und Soul. In den USA scheinen nun aber der Freiheit von Meinung und Ausdruck massive Beschränkungen bevorzustehen. Wie wird sich das auf die Pop-Produktion der nächsten Jahre auswirken? Wie wird sich insbesondere HipHop jetzt verhalten? Wird er sich überhaupt verhalten?

Zur Zeit des ersten Golfkriegs war in seiner Welt noch alles ganz anders: Rap war zu einem beträchtlichen Teil sozial bewusst, politisch wütend und symbolisch militant. Chuck D definierte mit Public Enemy HipHop als „CNN des schwarzen Amerikas“. Die Nation of Islam und die Five Percenter waren keine komischen Aspekte der Kultur, sondern tragende Säulen. Acts wie X-Clan, Brand Nubian oder Lakim Shabazz promoteten, wenngleich wild zusammengerührte, so doch „coole“ Images eines muslimischen, politischen, sogar militanten Draufseins im Sinne höherer Ideale und gesellschaftlicher Veränderungen. Bei einem Interview, das ich zu dieser Zeit mit der Gruppe Poor Righteous Teachers führte, harten Fünfprozentern, wurde abwechselnd mit Bibel und Koran gefuchtelt, Männer als „Gods“ und Frauen als „Earths“ definiert und ein Siegeszug des „Holy Intellect“ prophezeit. Dann marschierte Saddam in Kuwait ein und diese Stimmen verstummten im Rap.

Schon deutlich erkennbar mit dem Ende des ersten Golfkriegs, beklemmend extrem nach dem 11. September 2001, verflüchtigte sich Agitation im HipHop und wurden durch egozentrische Ikonen ersetzt. Der Rapper als Erfolgstyp: Gangster-Rap, G-Funk, der Macho-Krieg zwischen East- und Westcoast, mehr oder weniger selbst bestimmte Sex-Inszenierungen auf Frauenseite, schließlich Eminem – HipHopper kümmern sich ausschließlich um sich selbst, das heißt um die Mehrung des eigenen Wohlstandes, des eigenen Ruhms, der eigenen Skills, des eigenen Scheiß, der eigenen Kopulationsfrequenz.

HipHop ist dabei zwar immer wütend und kämpferisch geblieben, sogar noch hasserfüllter geworden. Nur hat sich die Kampfeslust nahezu komplett auf das Gebiet des individuellen Materialismus und anderer Eitelkeiten verlagert. Je dominanter HipHop in der Hitparade wurde, desto triebgesteuerter kam er herüber. Das machte ihn nicht weniger authentisch oder „real“, doch als Nachrichtenkanal für Agitprop zunehmend unbrauchbar. Wohlgemerkt rede ich hier von Big Rap, wie er in den Charts stattfindet (so wie es Public Enemy eben ihrerzeit auch taten). Im Underground des Independent-HipHop existiert zwar weiterhin eine reiche Auswahl alternativer Modelle. Nur ist deren Abstrahlwirkung auf ähnliche Weise relevant für die Weltlage wie dieser Text. Wichtig wäre eben zu wissen: Wie reagiert jetzt ein Eminem, ein Dirty Bastard? Make no mistake!

Anderes Thema: Killerbasslines, die in lethalen Tracks den Dancefloor explodieren lassen und Schaden anrichten, weil „der Scheiß die Bombe ist, Hund“, wie mir Neon Leon, ein alter DJ-Kumpel aus San Francisco, gern gute Tracks ans Herz zu legen pflegte. Oder: DJs in Camo-Wear, stets einsatzbereit, wehrhaft und unverwüstlich. Müsste man sich nicht von solchen martialischen Ausdrucksformen befreien, die ja möglicherweise einer gewissen inneren Mobilisierung und Gewöhnung Vorschub leisten könnten – wie Egoshooterspiele? Oder gilt gerade jetzt, Sprache und Habitus nicht allein denen zu überlassen, die damit irgendwie nicht so achtsam umgehen können?

Mir fällt dazu eine Szene des großartigen Films „Paris Is Burning“ ein, eine Dokumentation der New Yorker Drag-Queen- und Vogueing-Szene der späten 80er. Bei den dort abgehaltenen grandiosen Bällen messen sich marginalisierte Männer meist hispanischer oder afrikanisch-amerikanischer Herkunft in verschiedenen Wettbewerben: die überzeugendste Darstellung einer echten Frau. Die imponierendste Verkörperung einer irreal übersteigerten Frau. Graziöseste Dance Moves, inspiriert von Modefotografie. Gegenseitiges Levitenlesen. Für mich einer der Höhepunkte: die gelungenste Darstellung eines echten, normalen Mannes. Da wird die Erscheinung eines Bilderbuchsoldaten oder Börsenbrokers zur surrealen Travestie, gerade weil sie durch nichts gebrochen wird, sondern bis ins letzte Detail perfekt performt ist.

In diesem Sinne

Peace

HANS NIESWANDT