deutschlands frauen sind fußball-weltmeisterinnen : WALTRAUD SCHWAB beobachtete das Endspiel gegen Schweden in einer Fußballkneipe
„Damenfußball, großes Vergnügen. Vor allem der Trikottausch“
Um 19 Uhr war Anpfiff des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft. „Der Damen“, sagt ein Namenloser, der auf einem Barhocker im Stirlitz, einer Sportkneipe Seestraße Ecke Togostraße, sitzt. „Heute werden wir Weltmeister.“ Er sagt es wie jemand, der eine Spinne in der Hand hält und sie zum Fenster hinauswirft.
Der Fernseher ist aus. Kein Sportfan habe Interesse angemeldet, meint Jolanta, die Barfrau. Außer dem einen Namenlosen sitzt ein weiterer Namenloser mit türkischem Akzent am Tresen. Dazu noch zwei Deutsche, die in ein Gespräch vertieft sind, und ein paar, die hinten in der Ecke Billard spielen. Sie werden den restlichen Abend immer wieder die Kugeln aufs Holz donnern lassen. Da mischt sich Olaf, einer der beiden Deutschen, ein. Er könnte auch Detlef heißen. Besser ein „Alias“ benutzten in seinem Fall. Der Mann wird noch von sich reden machen an diesem Abend. „Jolanta, sorg dafür, dass der Fernseher angestellt wird.“ Breitschultrig hat er das Wort. „Damenfußball, großes Vergnügen. Vor allem der Trikottausch. Fakt ist, dass deren Spiel ästhetisch einfach nicht so ausgereift ist.“
„Wobei“, wendet sein Kumpel Otto ein, „von technischer Seite ist das hoher Fußball.“ Otto ist Torwart beim FSV Großleuthen-Gröditsch im Spreewald. Was ihn dann in die Seestraße verschlage? Er wohnt hier. Fleischgroßhändler. Import. Olaf ordert ein Bier. Nicht sein erstes. „Guck dir die Pranken an von dem.“ Er zeigt auf Ottos Hände. Das Fußballspiel läuft. Interessieren tut es ihn nicht.
Die Schwedinnen rennen wie Gazellen über das Feld. Olaf-alias-Detlef und Otto, der Mann mit dem Wende-Namen, ein „Ossi-Schwachmate“, wie Olaf-alias-Detlef meint, fachsimpeln weiter. „War selbst mal Fußballer. Und Berliner Meister auf 100 Meter. 10,62 Sekunden hab’ ich gemacht“, bekennt Olaf-alias-Detlef. Er hätte ein Star werden können. Abitur. Kleines Latinum. Größenwahn. Heute ist er Lagerleiter.
Mittlerweile sind sogar drei Tische vor dem Fernseher von je einem Mann besetzt. Der mit narbigem Gesicht ist Rheinländer und Kunstagent. Wie sich herausstellt, weiß der Kunstagent bei allem, was besser ist. Auf das Spiel der Frauen bezogen: „Ich dachte, ich schau mir das mal an, obwohl es mit athletischen Verlusten verbunden sein wird.“
In dem Augenblick schießt Hanna Ljungberg die Schweden in Führung. Danach ist Pause. Olaf-alias-Detlef skandiert „Deutschland, Deutschland“ und kurz darauf beschimpft er die Namenlosen am Tresen. „Scheiß Ausländer, Schmarotzer, Penner, lebt von unserem Geld.“ Jolanta legt ihre Hand auf die des einen Namenlosen, damit er es erträgt. Damit er nicht aufspringt, damit er nichts sagt. Olaf-alias-Detlef wütet sich durch den Raum. Niemand stoppt ihn. Nur Jolanta fleht: „Olaf, bitte.“
„Solche Leute sind als Männer unsympathisch“, meint der Rheinländer leise. Als Männer? „Frauen sind auch nicht ohne Aggression“, ist seine Antwort. „Die Meinung von dem Typen wird auf dem Markt gehandelt. Der Markt stellt sich in Umfragen her.“ Nobel hat der Rheinländer ausgedrückt, was sonst Hetze heißt. Olaf verlässt die Kneipe. „Man hat den Eindruck, auf dem Rasen wird in Zeitlupe gespielt“, meint der Rheinländer. Der Mann am Tisch daneben sitzt vor einem Glas Wasser. Wie sich herausstellt, heißt er Josef. Olaf-alias-Detlef, den findet er krank. „Der muss zum Arzt.“
Josef ist fußballbegeistert, aber seit 20 Jahren hat er keinen Fernseher. Deshalb sitzt er in der Kneipe. Und, was erwartet er? „Bei den Frauen wird sehr viel fairer gespielt“, antwortet er. Die Aggressivität fehle. Das sei einerseits erfreulich. Andererseits ist es genau das, was er am Spiel der Frauen vermisst. „Ich bin für Schweden wohlgemerkt“, sagt er. Er sagt es in dem Augenblick, als das Ausgleichstor fällt. Josef trägt es mit Fassung. Was anderes beschäftigt ihn stärker: „Die deutschen Frauen sehen mehr und mehr wie Männer aus. Nicht sinnlich und erotisch.“ Otto, der mittlerweile am Tisch sitzt, springt in die Bresche: „Die müssen wie Männer aussehen, sie machen Männersport.“
Als die deutschen Frauen den entscheidenen Freistoß vor dem schwedischen Tor zugesprochen bekommen, meint Josef: „Jetzt bräuchte man einen Beckham“. Den Satz hatte er noch nicht fertig, da ist der Ball im Tor. Wunderbar geflankt von Maren Meinert, perfekt geköpft von Mia Künzer. Golden Goal. Aus.