der stadtentwicklungsplan verkehr (teil 4) : Verkehrswachstum ist kein Grund für Bevormundung „von oben“
Defizite der Verkehrsinfrastruktur können nur über eine Reform des Landeshaushalts behoben werden
Mit dem StEP Verkehr beginne ein „neues Verkehrszeitalter“, kündigte der Senat vollmundig vor einem Jahr an. Auf ein Nachwendejahrzehnt der Restauration von Verkehrsinfrastruktur soll jetzt ein Jahrzehnt der „intelligenten Nutzung“ folgen. Experten, Planer und Kritiker diskutieren an dieser Stelle in den kommenden Wochen, immer freitags, über die Zukunft der Berliner Verkehrspolitik.
Dass in Berlin, wie letzte Woche an dieser Stelle beschrieben, immer mehr Autos herumfahren, ist Folge von Veränderungen der Siedlungsstruktur und der Mobilitätsgewohnheiten sowie einer zunehmend globalisierten Wirtschaft. Berlin wird wieder eine normale Großstadt, und diese Normalisierung nach Jahrzehnten der Abschottung beider Stadthälften spiegelt sich auch im Verkehr wider. Nur: Die Ursachen sind auf Entwicklungen zurückzuführen, die die Politik nur bedingt beeinflussen kann. Gleichwohl ist in Berlin der politische Wille, die Mobilitätsgewohnheiten der Berliner in den Griff zu bekommen, stark ausgeprägt. So soll der StEP ein „Umdenken“ im Mobilitätsverhalten fördern, mit dem Ziel, das eigene Auto stehen zu lassen – und damit den Kfz-Verkehr insgesamt einzuschränken. Was ist davon zu halten?
Das Mobilitätsverhalten entzieht sich weitgehend dem planungspolitischen Zugriff. Sogar unter den Bedingungen der Zentralverwaltungswirtschaft des ehemaligen Ostblocks war dies so. Je arbeitsteiliger eine Gesellschaft organisiert und je leistungsfähiger ihre Wirtschaft ist, desto ausgeprägter, differenzierter und weiträumiger werden die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung. Wer entscheiden will, ob Auto oder U-Bahn, wägt zuvor zwischen Mobilitätskosten und Mobilitätsvorteilen ab. Nur die Akteure des Verkehrsgeschehens können daher ihren Mobilitätsbedarf realistisch bestimmen und bewerten.
Die öffentliche Hand versucht hingegen über die Mobilitätskosten lenkend einzugreifen. Dabei bedient sie sich neben steuerlicher Instrumente verschiedener Gebühren und der indirekten Beeinflussung der Mobilitätskosten, zum Beispiel durch „Verkehrsberuhigung“. Parkgebühren und Verkehrsberuhigungen erfassen immer größere Teile des Stadtgebietes. Sie sollen dazu beitragen, ein „Umdenken“ bei den motorisierten Verkehrsteilnehmern herbeizuführen.
Das wirtschaftlich angeschlagene Berlin ist jedoch gut beraten, die Mobilitätskosten möglichst niedrig zu halten. Denn steigende Kosten treffen die unteren Einkommensschichten am stärksten. Die sich abzeichnenden Lenkungstendenzen sind darüber hinaus fragwürdig, denn Mobilität ist nun einmal ein wichtiger Standortfaktor.
Bereits die bestehenden Mängel im Berliner Straßennetz sind Kostentreiber zulasten der Verkehrsteilnehmer, Verbraucher und Unternehmen. Die unzureichende Unterhaltung der Straßen verursacht immer mehr Fahrzeugschäden und belastet zunehmend auch die BVG. Besonders nachteilig wirken sich die Ungleichgewichte im System des übergeordneten Straßennetzes aus, ein Problem, das der StEP weitgehend ignoriert.
Die Defizite bei der Erhaltung und Erweiterung der Verkehrsinfrastruktur Berlins können freilich nur über eine strukturelle Reform des Landeshaushalts und seiner Grundlagen behoben werden. Hier liegt der politische Handlungsbedarf, hier muss das „Umdenken“ ansetzen.
Eine Anmerkung zu den „eigentlichen“, nämlich den Folgekosten des Kfz-Verkehrs, von denen viele meinen, dass der Staat sie vor allem den Autofahrern zuordnen sollte, um ein „Umdenken“ im Mobilitätsverhalten herbeizuführen. Hier ist nichts als Rhetorik im Spiel, denn diese Kosten lassen sich genauso wenig abschließend feststellen wie der Preis, den die Gesellschaft zu entrichten hätte, falls sie den Kfz-Verkehr einschränken würde. Selbst wenn die Kosten bekannt wären, hätten sie nur im Vergleich zum Nutzen des Kfz-Verkehrs einen Aussagewert.
Wer aber legt die Beurteilungskriterien und den „gerechten“ Maßstab zur Verteilung der Folgekosten fest, die Politik, die Planungsbehörden? Kann man ernsthaft glauben, dass diese zusätzliche Ausweitung der staatlichen Umverteilungsmaschinerie der Bevölkerung und der Umwelt auch nur einen Vorteil bringen würde?
Noch ein Wort zur Nachhaltigkeit, einem Begriff, der, zumindest im angelsächsischen Raum, den Zenit seiner umweltpolitischen Magie überschritten hat. Keine Frage, auch der Kfz-Verkehr belastet die Umwelt. Aber wer kann mit Sicherheit sagen, dass sich die zunehmenden Eingriffe der öffentlichen Hand in den Kfz-Verkehr – die technischen Umweltschutznormen einmal ausgenommen – tatsächlich nachhaltig auswirken?
Ich bin angesichts der Zusammenhänge von Motorisierung, Wohlstand und Umweltqualität eher skeptisch und sehe hier ein weiteres Staatsversagen durch Kompetenzüberschreitung öffentlicher Stellen.
Die verkehrspolitische Absicht, das Mobilitätsverhalten einer Großstadtbevölkerung beeinflussen und insoweit ein „Umdenken“ herbeiführen zu wollen, ist wenig aussichtsreich – und standortpolitisch bedenklich. Die Berliner Verkehrsplanung sollte die mobilitätsbezogene Lebensweise mitsamt der Verkehrsmittelwahl ganz den Bürgerinnen und Bürgern überlassen. Insoweit muss sie wieder „klassisch“ werden. KLAUS MÜLLER
Der Autor ist Referent für Verkehrspolitik bei der Berliner FDP-Fraktion. Nächsten Freitag lesen Sie den bereits für diese Woche angekündigten Beitrag: „Ungleiche Mobilitätschancen in Berlin“