der rechte rand : In die Mitte der Gesellschaft
Die Stimmung im Festzelt der niedersächsischen Gemeinde ist bestens. Der Bürgermeister hat längst die Eröffnungsrede gehalten und der Schützenkönig die Scheibe bekommen. Die ersten Schnäpse musste er bereits an den Schützenverein, die Freiwillige Feuerwehr und die Junggesellen-Gruppe ausgeben. Manche Sprüche über „die Frauen“ im Allgemeinen und über „die Ausländer“ im Besonderen sind auch schon gefallen. Die Festgemeinde trinkt gut gelaunt Bier, als einige Jugendliche des Orts aktiv werden. „Verpiss dich!“ raunzen sie vor dem Zelt den vermeintlich zu dunkelhäutigen Jungen und das Mädchen mit den Dreadlocks an. Die Gruppe greift die beiden an. Hilfe kommt keine.
Eine fiktive Geschichte. Sie deckt sich aber mit tatsächlichen Geschehnissen, wie die aktuellen Untersuchungen des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld bestätigen: In Niedersachsen ist die Gewaltbereitschaft unter den 16- bis 21-Jährigen, und zugleich die Gewaltbilligung der über 50-Jährigen sehr hoch. Einige rechte Ressentiments sind außerdem in dem Bundesland weiter verbreitet als im Bundesdurchschnitt.
Am Donnerstag stellten Wilhelm Heitmeyer und Beate Küpper in der Lüneburger Universität die Ergebnisse vor. Über 400 Teilnehmer waren zu der Fachtagung der Länderpräventionsräte Niedersachsens, Schleswig-Holsteins, Mecklenburg-Vorpommerns und des DGB Nord gekommen. Unter dem Motto „Eine neue Lage erfordert neue Präventionsstrategien“ diskutierten sie über die sich verändernde „rechtsextreme Szene“ sowie die laufende Präventionsarbeit. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Neonazis mit ihren menschenverachtenden Hassbotschaften das Denken vor allem junger Menschen negativ beeinflussen“, sagte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann. „Das ist ein zentrales Anliegen der Landesregierung“.
Ob diese Worte auch bedeuten, dass weiterhin Landesgelder für die Projekte gegen Rechts bereitgestellt werden? Die anschließenden Ausführungen von Heitmeyer und Küpper werden einigen Landespolitikern missfallen haben, offenbarten sie doch eine nicht gerade beruhigende Situation. Bei den repräsentativ Befragten in Niedersachsen waren die rassistischen Einstellungen, die antiislamischen Haltungen und die rechtspopulistischen Vorstellungen deutlich stärker ausgeprägt als in anderen Bundesländern, sagte Küpper. Heitmeyer hob „Orientierungslosigkeit“ als eine Ursache hervor. Für viele passe nicht zusammen, „dass Unternehmen Rekordgewinne einfahren und gleichzeitig Massenentlassungen aussprechen“. Er warnte davor, Präventionsarbeit auf Jugendliche zu beschränken.
Die Journalistin Andrea Röpke machte auf niedersächsische Orte wie Tostedt oder Verden aufmerksam, an denen sich längst eine rechte Szene festigen konnte. Wo Neonazis offen auftreten oder Räumlichkeiten haben, sagte sie, übten sie auf Jugendliche eine Anziehung aus. So wachse die Szene um das Neonazizentrum „Heisenhof“ in Dörverden. Trotz des breiten Widerstands konnte auch die NPD in der Region über vier Prozent bei der Bundestagswahl erreichen. Röpke erinnerte daran, dass der Verfassungsschutz oder die Polizei in Fällen wie der Neonazi-Schulhof-CD anfangs sehr zögerlich gehandelt hätten.
Von der Peripherie in die Metropolen zu kommen, sei nicht nur in Niedersachen eine Hoffnung der Neonazis, sagte Gerhard Bücker vom niedersächsischen Präventionsrat. In den Flächenbundesländern versuchten die Neonazis sich gerade in den kommunalen Gemeinwesen zu verankern und in die „Mitte der Gesellschaft“ vorzustoßen.
Hinweis: ANDREAS SPEIT arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene Norddeutschlands. Jüngste Veröffentlichungen: „Mythos Kameradschaft“ (2005)