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Archiv-Artikel

der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR

… der ganz gewöhnliche homosexuelle Mann, nicht der Kinderschänder und auch nicht der aus Hollywood, sondern der von beinahe Nebenan, der bekam vor genau 50 Jahren erstmals ein Gesicht und einen Namen. „Ich heiße Curtis White, und ich bin homosexuell“, sagte der Mann im September 1955 vor den Kameras von KTTV in Los Angeles. Und weiter fügte er hinzu: „Da gibt es nichts zu bedauern, und ich hoffe, dass die heterosexuelle Mehrheit und die homosexuelle Minderheit zu einer Verständigung kommen und nebeneinander im gegenseitigen Respekt leben können.“ Die offenen Worte von Curtis White bildeten den Abschluss der Talkshow „Vertrauliche Gespräche“ zum Thema Homosexualität.

Zuvor waren die üblichen Experten zu Wort gekommen, ein Psychologe selbstverständlich, der damit um Verständnis warb, dass jeder homosexuell sein könnte, selbst er oder der Moderator der Sendung, und dass nicht alle Homosexuellen kriminell seien, ebenso wenig wie alle Alkoholiker oder Neurotiker. Und ein Polizist erzählte aus seiner täglichen Praxis, dass nicht alle Homosexuellen einfach zu erkennen seien, im Gegenteil: „Unter ihnen sind sogar einige herausragende Exemplare von Männlichkeit – von physischer Vollkommenheit.“

Gewürzt wurden die Statements mit Filmausschnitten eines Treffens von Mitgliedern der „Mattachine Society“, der ersten Schwulengruppe der USA. Freundliche Männer saßen da beieinander, knabberten Kekse und tranken Kaffee. Eine gekonnte Schnitttechnik verstand es allerdings, daraus eine Sequenz zu schneidern, die aus einem Hitchcock-Thriller geklaut schien. Und schließlich wurde das erste Schwulenmagazin auf dem amerikanischen Markt, ONE, als großer Jugendverführer gegeißelt, der beseitigt werden müsse.

Bei so viel ermutigendem Vorspiel sah es nicht gut aus für Curtis White: „Ich bin kein Neurotiker“, betonte er, als er endlich zu Wort kam, „ich bin glücklich, so wie ich bin, und daran soll sich auch nichts ändern.“ Einen Tag nach der Sendung verlor White seinen Job, bekam aber unzählige Zuschriften von Lesben und Schwulen im ganzen Land, die seinen Mut und seinen Einsatz lobten. Und ONE jubelte in seiner nächsten Ausgabe: „Endlich wurde der Schleier des Schweigens gehoben.“

Just zehn Jahre später, am 24. Mai 1965, um genau zu sein, hob sich kein Schleier im ersten Programm des deutschen Fernsehens, aber erstmals saß ein Schwuler vor einer deutschen Fernsehkamera. „§ 175 – Betrachtungen zu einem Problem der Strafrechtsreform“, hieß die Sendung und wurde von Peter von Zahn moderiert. Auch er hatte die notorischen Experten dabei, ein Vertreter des „Volkswartbundes“, ein Arzt, ein Psychologe und ein Theologe. Und dann durfte ein junger Mann „Ja“ antworten auf die Frage von Peter von Zahn, ob er sich zu dieser Welt hingezogen fühle. Dazu sah man Bilder aus einer halbdunklen Schwulenkneipe und ein Transvestit sang „Lass die Liebe aus dem Spiel“. Das war nicht viel eigenständige Rede, reichte aber aus. Auch dieser Schwule wurde anderntags aus einer Firma entlassen. Peter von Zahn zeigte sich aber verantwortungsvoll und besorgte ihm einen neuen Job.