daumenkino : Supertex
Was hat Miss Ellie in Amsterdam zu suchen? Und warum kocht sie so seltsame Fleischbällchen, anstatt Steaks für ihre Familie in die Pfanne zu hauen. Auch Bobby scheint im fernen Holland einen Doppelgänger zu haben, der ihm in treudoofer Gutherzigkeit in nichts nach steht. Betrogene Ehefrauen, blonde Geliebte – und doch befinden wir uns nicht bei „Dallas“ oder dem „Denver Clan“.
Wir sehen „Supertex“ von Jan Schütte, die Verfilmung von Leon de Winters gleichnamigem Bestseller. Tatsächlich spielt der Roman im Großkonzernwesen, Supertex ist ein gut floriendes Textilunternehmen für minderwertige Kleidung. „Du kannst mit Lumpen handeln und in Seide gehen“, so die Devise des Firmenpatriarchen Simon Breslauer.
Gleich in der ersten Szene wird uns der trotz seines Alters immer noch vital umherpolternde Mann vorgestellt. Aus dem Off erzählt Sohn Max mit selbstmitleidiger Stimme vom übermächtigen Vater, einem Überlebenden des Holocaust, der die Söhne unterdrücke und jede neue Unternehmensidee abschmettere. „Ich habe das Geschäft auf der Straße gelernt“, sagt der alte Breslauer und meint damit das Ghetto.
Bevor man also Umfeld und Personen überhaupt kennen lernen kann, wird man bereits recht rabiat in den Grundkonflikt hineingeworfen. So funktioniert der ganze Film. Akribisch und der Reihe nach werden die einzelnen Standpunkte und Lebenshaltungen vorgebracht und abgehakt – „Supertex“ oder modernes Judentum für Anfänger. Der Zusammenprall von traditionellen und emanzipierten Lebensentwürfen gerät dabei zum unfreiwilligen Lehrstück. Ausgerechnet am Sabbat fährt Max mit seinem Angeberauto das Kind eines orthodoxen Juden an. Ein pausbäckiges Kerlchen im schwarzen Kittel wird ihm daraufhin einen Vortrag über die 613 Regeln halten, die Moses mit auf den Weg gegeben wurden. Der Wunsch einer jungen jüdischen Frau, für eine Weile nach Israel zu gehen, wird hingegen zur dramatischen Lebensentscheidung vergeigt.
Immer legt sich die aufdringliche Musik von Zbigniew Preisner bleischwer auf die banalsten Szenen. Vielleicht ist es die Angst ins Fettnäpfchen zu treten, die diesen Film fast zwanghaft bieder und korrekt erscheinen lässt. Seine gediegenen, auf Hochglanz polierten Bilder wachen sorgfältig darüber, dass bloß kein Klischee aus der Reihe tanzt. Also kocht die aufopferungsvolle Mama weiter vor sich hin, präsentiert der kleine Bruder weiter seine zarten Seiten, während die Generationenkonflikte wohlgefällig zerschmelzen. Wenn Max dann doch Oberhaupt der Firma wird, verharrt die Kamera auf seinem triumphierenden Grinsen. Man denkt an J. R. und sehnt sich nach Southfork zurück.
ANKE LEWEKE
„Supertex – Eine Stunde im Paradies“.Regie: Jan Schütte. Mit Jan Decleir, Stephen Mangan u. a. Deutschland/ Niederlande 2003, 95 Min.