das wird: „Es muss Konsequenzen für Lügen geben“
Welche Narrative die Demokratie aktuell am stärksten gefährden, erklärt Publizistin Katharina Nocun
Interview Charlina Strelow
taz: Frau Nocun, viele halten Verschwörungstheoretiker:innen für psychisch krank. Gibt es wirklich einen Zusammenhang?
Katharina Nocun: Psychische Erkrankungen sind bei Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, nicht unbedingt häufiger anzutreffen. Ich finde es falsch, beides gleichzusetzen, weil es die Stigmatisierung psychisch Kranker aufrecht erhält. Auch dass Betroffene „dumm“ seien, ist ein Irrglaube. Es gibt zwar eine Korrelation zwischen einem niedrigen Bildungsabschluss und Verschwörungserzählungen. Aber das Problem zieht sich durch die gesamte Bevölkerung.
taz: Warum sprechen Sie von Verschwörungserzählungen statt -theorien?
Nocun: Eine wissenschaftliche Theorie sollte immer offen für Falsifizierung sein. Hier wird jedoch alles abgestritten, was nicht ins eigene Weltbild passt.
taz: Wie erreicht man jemanden, der alles abstreitet?
Nocun: Auf der Sachebene ist das bei stark radikalisierten Menschen schwer, weil diese zum Beispiel irgendwann Wissenschaft und seriöse Medien für „gesteuert“ halten.
taz: Manche finden, man sollte gar nicht mehr mit diesen Menschen sprechen.
Nocun: Ich glaube, dass wir eine rote Linie ziehen müssen, wer in Talkshows nichts mehr verloren hat. Es muss Konsequenzen für Lügen geben. Das private Umfeld kann aber durchaus noch an sie herankommen. Es kann helfen, einen Schritt zurückzugehen: Warum ist die Erzählung attraktiv für die Person?
taz: Worin liegt der Reiz?
Vortrag „Wahlkampf und Verschwörungserzählungen -Gefährden Echsenmenschen und Co. unsere Demokratie?“: Do., 18 Uhr, Audimax der Universität Kiel, Christian-Albrechts-Platz 2.
Nocun: Gerade bei Kontrollverlust, in Krisen, sind Menschen anfälliger. Geschichten von einem großen Plan sind beruhigend. Kontrollverlust kann auch durch ökonomische Unsicherheit entstehen. Ganz platt gesagt: Wer wenig Rücklagen hat, für den bedeutet eine kaputte Waschmaschine Kontrollverlust.
taz: Die Erzählungen bieten dann einen Ausweg?
Nocun: Sie sind auch Heldengeschichten. Sie versprechen Aufwertung und Selbstwirksamkeit.
taz: Auch Politiker:innen greifen auf Verschwörungserzählungen zurück. Welche gefährden unsere Demokratie aktuell am meisten?
Nocun: Extreme Rechte nutzen diverse Verschwörungserzählungen, um das Vertrauen in die Demokratie auszuhöhlen. Da gibt es zum Beispiel die Erzählung, dass die Bevölkerung durch insgeheim gesteuerte Migration „ausgetauscht“ werden solle. Die islamfeindliche Organisation Pegida war zum Beispiel fundamental damit verbunden, auch der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland sprach davon. Außerdem ist es unglaublich praktisch für Autoritäre, mit solchen Narrativen Medien und Wissenschaft anzugreifen. Wer einen kritisiert oder Faktenchecks macht, ist eben Teil der Verschwörung. Wir sehen ja in den USA, in welche Richtung das geht.
taz: Stichwort „Fake News“…
Nocun: Mit Donald Trump haben wir einen Präsidenten, der nach wie vor seine letzte Wahlniederlage nicht anerkennt. Das greift ja wirklich das Herz der Demokratie an. Auch das schon von deutschen Medien übernommene Narrativ eines angeblichen „Deep State“, also einer geheimen Machtstruktur innerhalb des Staates, macht mir extreme Sorgen.
taz: Kurz nach Trumps Wiederwahl ließ Meta-Chef Mark Zuckerberg den Faktencheck auf seinen Plattformen abschaffen.
Nocun: Ich finde es beschämend, wie wenig Geld von einem Milliardenkonzern in Maßnahmen gesteckt wird, um gegen Desinformationen und Bedrohungen vorzugehen und Schäden ihres Geschäftsmodells zu minimieren.
taz: Sind Verschwörungserzählungen durch Social Media schlimmer geworden?
Nocun: Wir externalisieren gerne unangenehme Dinge auf Technik: Der Mensch ist gut, die Technik schlecht. Wir müssen uns klar machen, dass schon in der NS-Zeit antisemitische Verschwörungstheorien systematisch genutzt wurden, um den Holocaust zu legitimieren. Soziale Netzwerke sind Brandbeschleuniger, aber Verschwörungserzählungen sind kein ausschließliches Phänomen des Internets.
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