das verhinderte walser-interview : Hat sich’s gelohnt, Antifa?
Ohne die Antifa wäre man manchmal verloren. Ohne den Papst auch. Wie soll man denn noch urteilen, in dieser unübersichtlichen Welt? Da tut es gut, wenn wenigstens einige wenige noch klare Kante ziehen: Der Papst sagt nein zur Pille, die Antifa Göttingen sagte nein zu Martin Walser. Die Antifa Göttingen?
Ja, so was gibt’s, und sie veröffentlichte Anfang des Monats eine markige Erklärung: „Antisemitismus und Auschwitz-Verdrängung dürfen niemals Gegenstand eines Pop-Spektakels werden, sondern sind politisch und kulturell zu bekämpfen!“. Den Kampf wollten die organisierten Antifaschisten auf die Straße tragen, um eine PR-Veranstaltung der Süddeutschen Zeitung zu verhindern: ein öffentliches Interview mit Walser, geführt von Moritz von Uslar, dem Erfinder der Idee „100 Fragen. So schnell wie möglich, denn wir haben ja nicht ewig Zeit.“
Zwei Popstars sollten da auf der Bühne sitzen, das hat die Antifa schon gut erkannt: der eine ein von Stuckrad-Barre, nur bisher ohne Romanausstoß, der andere mit vielen Romanen im Rücken, aber für die Populärkultur erst interessant geworden, weil ihm was nachhängt – sein Spruch von der „Moralkeule“ Auschwitz. Ganz gleich, dass Walser Auschwitz nicht banalisieren wollte, sondern gerade die Banalisierung des Holocaust durch Dauerstrapazierung beklagte – bis heute umweht ihn in der öffentlichen Wahrnehmung ein diffuser Nazi-Grusel. Und natürlich war auch der Termin des Happenings Pop: jener 11. Oktober, an dem sich Walsers Moral-Rede in der Frankfurter Paulskirche zum fünften Mal jährte. Mehr Provokation geht gar nicht, zumal die Antifa den Part spielte, den ihr kein Regisseur besser hätte zuschreiben können: Ihr rührend unironisches Wettern verlieh dem Ereignis erst den Kitzel der Unmoral, der den Veranstaltern Aufmerksamkeit garantierte.
Nur Walser begriff die Gesetze des Pop nicht – und blies die Veranstaltung ab, die Antifa hatte sich durchgesetzt. Hat sich’s gelohnt? Das kann man jetzt beurteilen: Gestern erschien das Interview in gedruckter Form.
Uslars Spezialität sind seine Zwischenflashs, die Einfälle im Verlauf des Gesprächs, eingestreut nach Frage 5 oder 27 oder 96. „Rollläden runter“. Nach der Flucht aus Göttingen findet das Interview hinter Jalousien im Hotel Le Meridien statt. „Frankfurt, Bahnhofsviertel.“
Ist Walser nun ein Schlimmer? Frank Schirrmacher, zum Beispiel, sieht das mal so, mal so. In der Paulskirche trat der FAZ-Herausgeber als Laudator ans Pult. Zuletzt fand er im neuen Roman „Tod eines Kritikers“ das „Repertoire antisemitischer Klischees unübersehbar“. Uslar stöhnt: „Was alles erklärt, geklärt, bedacht werden muss, bevor die erste Frage an Walser gestellt werden kann. Es nervt.“ Dann geht er in medias res: „Bahncard 25 oder Bahncard 50?“ (Frage 3), „Zieht man bei Walsers daheim die Schuhe aus?“ (Frage 7), „Ihre erste Uniform?“ (Frage 23), „Sollten sich die Deutschen jedes Jahr einen Hitler-freien Tag nehmen?“ (Frage 83). Für die Antworten hätte kein Antifaschist sich im Oktoberregen einen Schnupfen holen müssen.
PATRIK SCHWARZ