das m-gespräch von MICHAEL RINGEL :
Freitagabend. Mit einer ganzen Horde von Freunden verabredet. Draußen vor der besten Kneipe von Schöneberg. Ein wahres Lokal. An der Ecke wird die Straße aufgerissen, weil die Haupt- eine Bundesstraße ist und erst ab 19 Uhr umgegraben werden darf. Der Bagger veranstaltet die Nacht durch einen Heidenlärm, aber nach dieser Woche kann mich nichts mehr schocken. Jeden Tag mindestens 34 Grad Hitze im Büro. Und mit jedem Grad mehr protenziert sich der Schwachsinn, der einem bei der Arbeit widerfährt. Thank God, it’s friday …
Wie gewohnt bin ich der Erste um Punkt acht Uhr und habe bereits ein Bier und traditionell dazu ein Wasser bestellt. „Das Herrengedeck“, verspottet die Kellnerin mich wie üblich. Der Abend kann losgehen. Da klingelt das Mobiltelefon. Auf dem Display lese ich, dass meine Mutter anruft. O nein, bitte kein M-Gespräch ausgerechnet jetzt! Aber ich hatte ihr vor zwei Tagen eine Mail geschrieben zu einer dringenden Familienangelegenheit und mich schon gewundert, dass sie mir nicht geantwortet hat.
„Hallo, mein Junge, hier ist Mama. Ich bin in Berlin. In Tegel. Am Flughafen“, sagt meine Mutter, und die Worte erzeugen in meinem Kopf ein metallisches Knirschen, als ob die Schaufel eines Baggers auf ein Eisenrohr getroffen ist. Oder ist es eine Bombe? Eine Weltkrieg-zwei-Bombe? Der Baggerfahrer springt aus seiner Kabine, um sich den Schaden im Graben zu besehen. Irritiert von dem Sprung auf die Fahrbahn, lenkt ein Taxifahrer seinen Wagen über die gestrichelte Mittellinie und touchiert ein entgegenkommendes Motorrad, dessen Fahrer die Balance verliert. Der Lenker knickt ein, der Motorradfahrer stürzt vornüber und greift mit der Hand knapp neben das sich wie ein Häcksler drehende Vorderrad. Obwohl er nur mit T-Shirt, Shorts und Flipflops bekleidet ist, trägt er kaum eine Schramme davon, ist jedoch umso erboster. Er pfeift den Taxifahrer zurück, der tatsächlich anhält, einparkt, aussteigt und lässig auf den Motorradfahrer zugeht, der ihm mit dem Zeigefinger wütend vor dem Gesicht herumfuchtelt, während er mit der anderen Hand sein Handy nimmt, um die Polizei zu rufen, die wenig später erscheint.
„Entschuldige. Was hast du gesagt?“, frage ich meine Mutter. „Ich bin in Berlin. Am Flughafen“, wiederholt sie. Wann habe ich zuletzt Staub gesaugt in meiner Wohnung?, überlege ich, bevor in meinem Kopf ein Kreisel voller Fragen zu brummen beginnt: Wieso ist meine Mutter in Berlin? Warum hat sie mir nichts davon gesagt, dass sie kommt? Ist etwas passiert? Will sie bei mir übernachten? Wird sie für immer bei mir einziehen? Muss ich jetzt jeden Abend ein M-Gespräch führen? M wie Mutti.
„Ich bin schon heute Morgen angekommen. Ich musste überraschend dienstlich nach Berlin. Und ich bin bereits wieder auf dem Rückweg. Der Flug geht gleich. Aber ich wollte mich mal melden, wenn ich schon in der Nähe bin. Deine Mail beantworte ich dann in den nächsten Tagen“, sagt meine Mutter, die mir gerade den Schock meines Lebens versetzt hat. Die Felsen, die mir vom Herzen rumpeln, übertönen leicht den Bagger, der den Graben wieder zuschüttet. Die ersten Regentropfen fallen. Der Abend kann beginnen.