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Archiv-Artikel

crime scene Anatomie für Anfänger

Gäbe es einen Literaturpreis für den originellsten Romantitel, so wäre der spanisch schreibende Katalane Pablo Tusset (wie das Pseudonym des anonym untergetauchten Autors lautet) ein würdiger Preisträger. Nachdem vor ein paar Jahren sein erster Fastkrimi „Das Beste, was einem Croissant passieren kann“ auf Deutsch erschien, folgt nun mit „Im Namen des Schweins“ wieder so ein Genre-Bastard, der bereits im Titel die unvergleichliche Melange aus philosophischem Tiefsinn und höherem Blödsinn führt, die auch den Roman selbst auszeichnet. Im Geiste eines schwarzhumorigen Surrealismus erzählt Tusset eine haarsträubende Geschichte. Deren Schockeffekte wirken am besten, wenn man vorher so ahnungslos wie möglich ist, wodurch allerdings das inhaltsgetreue Rezensieren enorm erschwert wird. Daher ein Hinweis vorab: In Wirklichkeit ist dieses Buch viel aufregender, als es hier klingt. Es fängt im Grunde fast traditionell an. Ein Mord wird vorgestellt. Der kurz vor der Pensionierung stehende Hauptkommissar Pujol aus Barcelona muss in ein einsames Bergdorf fahren, in dessen Schlachthof eine Leiche entdeckt wurde. Ungewöhnlich dabei ist, dass jemand die Tote nach allen Regeln des Fleischerhandwerks in ihre Einzelteile zerlegt hat. Diese bleiben uns nicht erspart, denn man wird gezwungen, den Kommissar auf dem Gang über den Schlachthof zu begleiten, unterhalten und unterwiesen von einem gesprächigen Pathologen: „Haben Sie schon einmal gesehen, wie eine menschliche Zunge aussieht, die am Kehlkopf abgeschnitten wurde? Im Unterschied zu der des Schweins weist sie sehr viel mehr Geschmackspapillen auf.“

Ein wenig Hartgesottenheit kann bei der Lektüre nützlich sein, da es in diesem Roman überhaupt viel über die menschliche Anatomie zu lernen gibt. Und über das menschliche Wesen an sich. Denn es wird nichts weniger gezeigt als das Böse, das sich unaufhaltsam Bahn bricht. Zunächst kann man sich noch damit trösten, dass es ja Kommissar Pujol gibt, denn dieser ist so ein grundguter Mensch. Und weil er auf seine alten Tage immer noch Neues ausprobiert, findet er durch ein Gedicht – und mit der interpretatorischen Hilfe des Autors eines Romans mit dem preisverdächtigen Titel „Wie ich beim Düngen der Geranien über den Gartenschlauch fiel“ – einen Hinweis auf den Mörder. Doch ein Gedicht ist kein Beweis. Und so wird beschlossen, dass ein Ermittler in das Bergdorf eingeschleust werden muss.

Bis der Roman allerdings zu diesem Punkt gekommen ist, hat er ein ausgedehntes Gastspiel in New York hinter sich, wo T, ein junger Kriminalbeamter, der eine Art Ziehsohn des Kommissars ist, ein neues Leben ausprobiert und sich verliebt. Lange Zeit ist unklar, was diese Geschichte mit der ersten zu tun hat. Doch T wird später als verdeckter Ermittler P in jenes Bergdorf geschickt werden, und daher lohnt es sich, ihn näher kennenzulernen. Denn der gute Kommissar Pujol ist dann fern, und so wird T alias P (sicher nicht zufällig sind das die Initialen des Autorenpseudonyms) zum Hauptakteur des zu lösenden Falles. Dieser wird übrigens annähernd aufgeklärt werden, wenn auch nicht zur völligen Zufriedenheit des gewohnheitsmäßigen Krimilesers. Es wird nicht nur ein Motiv fehlen, sondern manche Nebenhandlungsstränge werden am Schluss auch weiterhin ins Leere führen. Und das Böse wird leider den Sieg davongetragen haben. Das aber ist irgendwie gar nicht lustig. KATHARINA GRANZIN

Pablo Tusset: „Im Namen des Schweins“. Aus dem Spanischen von Ralph Amann. Frankfurter Verlagsanstalt, 2008, 565 Seiten, 19,90 Euro