crime scene : Eine geschickte Gemeinheit
Der Amerikaner Donald Westlake, ein Vielschreiber, der schon in vielen Genres sein Glück versucht hatte, schaffte anno 1962 den großen Durchbruch, als er unter dem Namen Richard Stark den Roman „The Hunter“ veröffentlichte. Darin trat zum ersten Mal ein Mann namens Parker auf, der bis heute als einer der wohl verstörendsten Serienhelden der Kriminalliteratur gilt. Parker dachte nicht daran, die herrschenden Regeln von Gesetz und Ordnung infrage zu stellen, wie es die frühere Hardboiled Generation der im Grunde zutiefst moralischen Detektivhelden von Chandler und Hammett getan hatte; er zog es vor, die Regeln einfach zu ignorieren. Als Kriminellem reinsten Blutes war ihm jegliche Moral völlig fremd, und sein Handeln entsprach der reinen Ökonomie der Mittel, die es notfalls eben auch erforderlich machen kann, jemanden zu töten.
Nachdem Westlake 16 Parker-Romane veröffentlicht hatte, war es über 20 Jahre lang still um den bekanntesten seiner verbrecherischen Helden – bis dieser 1997 in einem neuen Richard-Stark-Roman mit dem bezeichnenden Titel „Comeback“ erneut in Erscheinung trat. Erst jetzt aber, ein weiteres Jahrzehnt und sechs Romane später, ist mit „Fragen Sie den Papagei“ wieder ein Parker-Roman in deutscher Übersetzung erschienen. Erschreckend spät; aber besser spät als gar nicht. Kriminalromane wie dieser werden diesseits des Atlantiks nicht geschrieben. Die seltene Mischung aus Lakonie, Zynismus, einer überlegenen Handlungsführung und einem extrem trockenen Humor, die Westlakes Stil auszeichnet, findet sich heute auch in den Filmen der Coen-Brüder wieder. Diese allerdings haben daraus eine eigene Form der surrealistischen Groteske entwickelt, während Westlake durchaus Realist bleibt. Die Welt, in der sich Parker bewegt, ist die, die wir kennen, und so löst der Einbruch des amoralischen Kriminellen in den Alltag ganz normaler Leute bei aller untergründigen Komik auch ganz reales Unbehagen beim Leser aus.
In „Fragen Sie den Papagei“ ist Parker nach einem Bankraub auf der Flucht. Die Handlung setzt ein, als er, die Polizei auf den Fersen, in ländlicher Gegend einen bewaldeten Hügel hinaufkeucht. Ein Mann namens Tom Lindahl, der von den flüchtigen Bankräubern gehört hat, schmuggelt ihn in seinem Auto an den Polizeisperren vorbei zu sich nach Hause. Lindahl selbst ist kein Krimineller, doch er hat eine alte Rechnung offen: Nachdem er eine Korruptionsaffäre in der Rennbahn, seinem langjährigen Arbeitsplatz, aufgedeckt hatte, wurde er entlassen. Seitdem sinnt er auf Rache. Parker, der Profi, soll ihm nun helfen, die Rennbahn auszurauben. Parker ist einem solchen Arrangement nicht abgeneigt, doch zunächst kommt etwas dazwischen: In der Gegend werden Suchtrupps zusammengestellt, die helfen sollen, die Bankräuber zu fassen. Da es zu auffällig wäre, sich zu entziehen, schließen sich Lindahl und Parker einer Gruppe an. Dabei kommt es durch unüberlegten Schusswaffengebrauch zu Komplikationen, und zudem wird Parker von diesem und jenem verdächtigt, der zu sein, der er wirklich ist …
Es versteht sich, dass diese Geschichte nicht für alle Beteiligten gut ausgehen kann. Wenn man dennoch nach allzu schnell beendeter Lektüre so ein seltsames Happy-End-Gefühl hat, ist das eine ganz geschickte Gemeinheit und zeigt, dass auch gute Menschen manchmal falsche Prioritäten setzen können. KATHARINA GRANZIN
Richard Stark: „Fragen Sie den Papagei“. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2008, 254 S., 16,90 € (die britische TB-Ausgabe ist günstiger!)