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Archiv-Artikel

crime scene Kugelschreiber ins Auge: Wie schlagen sich die neuen Ermittler bei Anne Holte und Håkan Nesser?

Bisher hatte jede noch so erfolgreiche Krimiautorin, jeder noch so gefeierte Autor irgendwann die Nase voll von seinem Serienhelden. Oder ihrer Heldin. Nach spätestens zehn Romanen werden die Spürnasen durch neue ersetzt. Anne Holt hielt es sogar nur sieben Bände aus mit ihrer lesbischen Kommissarin Hanne Wilhelmsen, um sie dann durch ein heterosexuelles Ermittlerpaar zu ersetzen. Wollte Holt damit klarstellen, dass sie ihre Krimis auch für Heten schreibt? Hätten wir auch so geglaubt; auf jeden Fall ist es um Wilhelmsen schade.

Die „Neuen“, der schwergewichtige Yngvar Stubø und die als Profilerin geschulte Inger Johanne Vik, treten in Holts aktuellem Roman zum zweiten Mal gegen das Böse an: Eine Serie von Morden an Prominenten versetzt Norwegen in Unruhe. Die Moderatorin einer Fernsehshow wird mit herausgeschnittener Zunge aufgefunden, eine junge Politikerin wird an die Wand genagelt, und ein scharfzüngiger Literaturkritiker bekommt einen teuren Kugelschreiber ins Auge gestoßen. Die Polizei hat keinerlei Spur; und Inger Johanne fühlt sich, je weiter die Mordserie fortschreitet, immer mehr an ein Seminar erinnert, das sie während ihrer Ausbildung beim FBI absolviert hat …

Man muss dazu sagen, dass die Profilerin gerade ein Baby bekommen hat und daher nicht auf der Höhe ihrer Leistungskraft ist, und man muss leider ebenfalls sagen, dass man sich häufig über alle Maßen informiert fühlt über das häusliche Leben der Ermittelnden. Dabei bleiben Inger und Yngvar als Personen eher konturlos; fast glaubt man zu spüren, dass nicht einmal die Autorin sich sehr für sie interessiert und diesen Mangel mit übertriebener Fürsorge auszugleichen versucht. An Spannung gewinnt dieser akkurat gestrickte Genreroman dadurch nicht.

Håkan Nessers neuer Roman hat in deutscher Übersetzung genau so viele Seiten wie Holts, die gefühlte Länge beträgt jedoch höchstens die Hälfte. Auch Nesser hat seinen Ermittler Van Veeteren und dessen seltsames Kunstholland ausgemustert (nach geplanten zehn Bänden), was ihm ausgesprochen gut bekommen ist. Seitdem schreibt er Romane, die deutlich über die Genregrenzen des Psychokrimis hinausweisen. „Die Schatten und der Regen“, dessen Titel ebenso gut „Geschehnisse am Wasser“ lauten könnte (ein erfolgreicher Roman von Kerstin Ekman, den Nesser gelesen zu haben scheint), spielt in einer nordschwedischen Kleinstadt. In den Siebzigerjahren ist hier ein Mord geschehen, der nie aufgeklärt wurde. Dreißig Jahre später kehren zwei Männer in die Stadt zurück, um mit der Vergangenheit abzuschließen. In der Kindheit enge Freunde, lebten sie als junge Männer schon in verschiedenen Welten, als der Mord geschah.

Ohne Hast und sehr reflektiert lässt Nesser erst den einen, dann den anderen, schließlich noch eine dritte Person ihre jeweilige Version der Dinge erzählen. Ein Verfahren, das im Krimi oft lediglich als oberflächlicher Kniff angewandt wird, um Spannung zu erzeugen. Doch hier steckt mehr dahinter, scheint dieser Erzählmodus gleichzeitig von einer recht philosophischen Absicht getragen. Dabei geht es nicht um die Unmöglichkeit, die eine, echte Wahrheit zu finden. Nesser will durchaus, dass wir seinen Figuren weitgehend glauben; schließlich geht es darum, einen Mord aufzuklären. Doch hinter jeder dieser Erzählungen, jeder dieser einsamen Stimmen tut sich eine komplett andere Welt auf, in die wir, und nur wir, die Leser, Einblick erhalten. Denn miteinander zu sprechen, einander die richtigen Fragen zu stellen ist etwas, was diesen Personen unendlich schwer fällt.

Sehr schön traurig ist das alles – und dabei äußerst spannend erzählt. KATHARINA GRANZIN

Anne Holt: „Was niemals geschah“. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Piper, München 2005,381 Seiten, 19 Euro Håkan Nesser: „Die Schatten und der Regen“. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt. btb, München 2005, 381 Seiten, 21,90 Euro