crime scene : Der fünfte Fall für die A-Gruppe, dieses Mal mit Kerstin Holm im Zentrum des Geschehens: „Rosenrot“ von Arne Dahl
Ja doch. Stimmt schon. Ich bin ein Fan. Das ist etwas Kostbares und im Erwachsenenleben nur noch selten zu bekommen, dieses Glücksgefühl, wenn es endlich da ist: das neue Buch vom Lieblingskrimiautor. Ungeduldig reißt man das Paket auf, schiebt die ungelesenen Druckwerke beiseite, die sich in vorwurfsvollen Stapeln ums Sofa drängen, wirft sich in die Kissen und fängt an zu lesen. Mit etwas banger Erwartung, denn wer weiß, ob es auch diesmal wieder funktioniert. Ob einem der leicht manierierte Sound dieser literarischsten aller Thriller nicht doch auf die Nerven geht; ob die Komplexität der Charaktere diesmal weniger organisch als gesucht erscheint; ob die unauffällige politische Korrektheit nicht allzu bieder wirkt. Doch – nein! Das sind Dinge, die andere Kritiker diesem einzig wahren Erben von Sjöwall und Wahlöö vielleicht vorwerfen möchten; ich nicht.
Was allerdings schon etwas irritieren kann an Arne Dahl: Sogar er, ein intellektuell so souveräner Autor, hat sich von der fortgeschrittenen Mankellisierung der skandinavischen Krimiszene infizieren lassen, von der Manie, um des Effekts willen eine auffällig große Zahl von Leichen pro Roman zu verbrauchen und/oder besonders grausame Arten der Tötung oder Folter zur Traktierung der Opfer heranzuziehen. Letzteres allerdings trifft auf Dahls fünften, jetzt auf Deutsch erschienenen Roman, „Rosenrot“, nur bedingt zu. Hier kommen vergleichsweise traditionelle Methoden zur Anwendung, um die immerhin sieben Leichen zu solchen zu machen. Mindestens zwei der Toten aber sind für Entwicklung und Logik der Handlung schlicht überflüssig. Und jene Szenen, bei denen die Ermittler im Regen auf einem schonischen Acker stehen, wirken wie eine regelrechte Mankell-Hommage.
Kerstin Holm, eine der beiden Frauen in Dahls Ermittlerteam, der Stockholmer Sondereinheit „A-Gruppe“, steht im Fokus des Romans. Dahls Kunstgriff, jedes Mal eine andere Figur in den Vordergrund zu stellen, verhindert vorzeitiges Erstarren in Routine, könnte jedoch leicht selbst zum Schema gerinnen, da die Zentralfigur oft auf thematisch recht erwartbare Weise persönlich in das kriminelle Geschehen eingebunden wird.
In diesem Falle geht es also um Gewalt gegen Frauen. Doch Dahl als wahrer Meister der Handlungsführung würde sein Hintergrundthema niemals auf direktem Wege einführen, das wäre allzu platt. Holm und die Kollegen von der A-Gruppe werden zu einem klar erscheinenden Fall hinzugezogen. Ein abgelehnter afrikanischer Asylbewerber ist von einem übereifrigen Polizisten erschossen worden: von Kerstins Exverlobtem Dag Lundmark, den sie zehn Jahre zuvor wegen seines gewalttätigen Verhaltens verlassen hat. Schnell finden Holm und Kollegen heraus, dass Lundmark mit dem Mord nur ein anderes Verbrechen vertuschen will. Doch da ihm nichts nachgewiesen werden kann, bleibt er auf freiem Fuß. Während die A-Gruppe den Polizisten aus den Augen verliert, entwickeln sich mehrere parallele, nur scheinbar unverbundene Handlungsstränge: Ein Selbstmörder, der sich in einem Abschiedsbrief des mehrfachen Mordes bezichtigt, führt die Ermittler auf jenen schonischen Acker, wo zwei Leichen gefunden werden. Der Fall des ermordeten Afrikaners führt in ein großes schwedisches Pharmaunternehmen. Und Kerstin Holm erfährt in Dänemark, dass sie einen wichtigen Teil ihrer Vergangenheit tatsächlich verdrängt hat.
Wie diese scheinbar disparaten Handlungsstränge zusammenkommen, ist wieder einmal so virtuos gemacht und die wahre Motivation des Täters so genial moralisch verdreht, dass man Dahl dafür gern einiges nachsieht. Psychologisches Finetuning oder moralische Reflektiertheit mögen nicht die größten Stärken seiner Romane sein. Aber das, was er kann, macht ihm so schnell niemand nach. KATHARINA GRANZIN
Arne Dahl: „Rosenrot“. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Piper, München 2006, 400 Seiten, 19,90 Euro