crime scene : Mehr eine originelle München-Hommage als ein ernst zu nehmender Krimi: „Sister Sox“ von Max Bronski
Wenn man im Hochsommer überhaupt Bücher liest, sollten es nach Möglichkeit solche sein, in denen Sätze stehen wie: „Drei Weißbier hatte ich schon intus, und auch sonst war es etwas kühler geworden.“ Quasi lyrisch diffundierend in seiner Semantik, umreißt dieser Satz einen hitzebedingten Schwebezustand, eine grundentspannte Gemütsverfassung, in der die Realität als solche nicht mehr in ihrer ganzen schwülen Schwere ertragen werden muss, sondern sanft hinübergleiten darf in gnädige Halluzination. Genau in so einem Zustand muss Max Bronski jene Vision von München vor dem inneren Auge erschienen sein, die er in seinem Krimi-Erstling „Sister Sox“ so stimmungsvoll beschreibt. Denn auch den meisten Einwohnern Münchens wird das München, das die Hauptrolle in diesem Roman spielt, eher unvertraut sein. Zwar gibt es auch in dieser Stadt einen Englischen Garten, ein Hofbräuhaus, viel Weißbier, Weißwürste und andere urbayerische Sehenswürdigkeiten und Spezialitäten, gleichzeitig aber stinkt es gewaltig nach Schlachthof und Verbranntem, und es wird furchtbar viel geschossen, denn italienische Mafiabosse schicken ihre Berufskiller durch die Gegend.
Ein München also, das auffällig an das Chicago der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts erinnert – oder an das, was wir davon zu kennen glauben. Und was kennen wir schon? Nichts als Filmklischees. Bei denen bedient sich Bronski ausgiebig, kulturelle Schablonen genüsslich übereinander schiebend, bis es quietscht. Wirklichkeitsnähe ist kein Kriterium, an dem sich dieser Roman irgendwie messen ließe. Eigentlich ist er nicht einmal ein Krimi, sondern eher eine Art geschriebener Comic. Die Bilder dazu machen wir im Kopf. Die Krimihandlung aber, zu der sie sich formieren, kann man nicht wirklich ernst nehmen – und das, obwohl eigentlich grauenhafte Dinge passieren. Bronskis Held nämlich, der so trinkfeste wie wehrhafte und unendlich lässige Trödler Wilhelm Gossec, sucht seine Ziehtochter Pia, die, einst strahlendes Sternchen am Hiphop-Himmel, abgerutscht ist in die Münchner Zuhälter- und Drogenszene. Nun ist sie verschwunden, und in ihrer verwüsteten Wohnung findet Gossec lediglich die Leiche von Pias bester Freundin. Gossecs Nachforschungen führen ihn auf den Schlachthof, wo, wie sich natürlich herausstellen muss, die Mafia residiert, und in ein finsteres Etablissement mit Namen „Oase“, wo, wie sich natürlich herausstellen muss, mit Gossecs kleiner Pia die übelsten aller Pornos gedreht worden sind.
Das ist an sich alles nicht schön, und eigentlich hätte es ein etwas weniger scheußliches Szenario auch getan, wenn’s doch eh nur darum geht, den Minimalanforderungen an eine Krimihandlung Genüge zu tun. Denn es muss vermutet werden, dass diese im Grunde nur den Erzählanlass bildet für eine überaus originelle München-Hommage. Diese hat zwischendrin viel Platz für komische Szenen, beschreibt liebevoll Szenerien und Typen und porträtiert dabei mit dem Schlachthofviertel ein München von unten, das von feisten Verlierertypen, abgetakelten Schönheiten und heruntergekommenen Exhuren bewohnt wird und in das der normale Schwabinger Yuppie wohl in seinem ganzen Leben keinen Fuß setzt.
Von hier aus aber auf Chicago zu kommen, ist mindestens so lässig assoziiert, wie der ganze Roman geschrieben ist, und er muss so geschrieben sein, weil er ja erzählt wird aus der Sicht des unendlich lässigen Wilhelm Gossec. Es ist dieser grundentspannte Erzählsound, der einen so unwiderstehlichen Charme entwickelt, dass man gern weiter und weiter liest. Und irgendwie überträgt er dabei seine beseligende Weißbiergelassenheit auch auf die Leserin. Kaum ist das Buch zugeklappt, hat man die Handlung wieder vergessen. Aber ansonsten ist es definitiv etwas kühler geworden. KATHARINA GRANZIN
Max Bronski: „Sister Sox“. Verlag Antje Kunstmann, München 2006, 191 Seiten, 16,90 Euro