crime scene : Sabine Deitmer hat ein leichtes Händchen für die schweren Dinge – auch in dem Krimi „Perfekte Pläne“
Ist es irgendwann zu spät? Oder kann man tatsächlich noch das Ruder herumreißen, wenn man alt und dem Tod schon einmal von der Schippe gesprungen ist? Gibt es im Leben überhaupt die Chance, vergangene Fehler wiedergutzumachen?
Beunruhigend existenzielle Fragen sind es, die Sabine Deitmer in ihrem fünften Roman um die energische Kommissarin Beate Stein ins Zentrum der Handlung stellt. Ein alter Mann wird ermordet in einer Kirche aufgefunden. Seine Identität kann zwar bald festgestellt werden, doch wirft seine Lebenssituation Fragen auf. Wie sich herausstellt, wohnte der ermordete Werner Krieger bei einer Familie, die er erst seit einem halben Jahr kannte, ließ sich von den Kindern „Opa“ nennen und hatte die Eltern auch schon in seinem Testament bedacht. Warum? – Es ist dies definitiv ein Roman, in dem die Leser mehr wissen als die Figuren, denn zwischen die Kapitel, in denen die reguläre Ermittlungshandlung läuft, hat die Autorin einen Nebenerzählstrang geschaltet, in dem der Ermordete Briefe an seine zwei Jahre zuvor verstorbene Frau schreibt. In diesen Passagen erfahren wir alles über seine Motivation, spät in seinem Leben – und nach einem Schlaganfall – noch einmal von vorn zu beginnen; sein Haus zu verkaufen, ein Wohnmobil anzuschaffen, sich eine junge Familie zu suchen, der er helfen könnte. Denn die Beziehung zu den eigenen drei Kindern scheint irreparabel zerstört.
Derweil wir das alles lesen können, sucht in der eigentlichen Handlung eine recht verwirrte Beate Stein nach Werner Kriegers Mörder, während sie gleichzeitig für ihren bürokratiebesessenen Chef Strategiepapiere verfassen muss und nebenher bemüht ist, ihren geschätzten Kollegen Weber, der seit Wochen mit akutem Weltekel das Bett hütet, wieder zum Dienst zu bewegen. Und man könnte auf die Idee kommen, sich zu fragen, warum man diesen Krimi als so fesselnd empfindet, obwohl, ganz objektiv betrachtet, die Handlung weder mit actionreicher Rasanz noch mit ausgeklügelter Komplexität beeindruckt.
Am Ende des Romans hat Beate Stein genauso viel über Werner Krieger herausgefunden, wie wir die ganze Zeit wussten. Was wir dann alle besser wissen, ist, wer ihn ermordet hat. Doch eigentlich wird das fast zur Nebensache. Theoretisch hätte es jeder aus dem Kreis der grundsätzlich Verdächtigen sein können, theoretisch war auch der Ermordete ein Bösewicht; und genau diese Offenheit der Möglichkeiten sorgt für eine permanente Grundspannung. Denn es ist, wie Kollege Weber, der Menschenverächter, einmal ganz richtig bemerkt, prinzipiell allen alles zuzutrauen. Das hat einerseits etwas ganz Agatha-Christie-mäßig Genrekonformes. Man wird als Leser darauf gepolt, auf kleine verdächtige Regungen bei den Figuren zu achten. Die werden von der Autorin geschickt gestreut und von der Ermittlerin ebenso beunruhigt registriert wie von uns. Doch abseits des eher sportiv-deduktiven Reizes, den eine solche Versuchsanordnung bietet, strahlt sie gleichzeitig die düstere Faszination des normalen menschlichen Wahnsinns aus. Was ist der Mensch dem Menschen?
Man muss es Sabine Deitmer lassen: Sie hat ein ausgesprochen leichtes Händchen für die ganz schweren Dinge. Das jämmerliche Bild menschlichen Zusammenlebens, das sie in diesem Roman zeichnet, steht an Grunddüsterkeit einem klassischen Roman noir in nichts nach. In der Ausarbeitung aber geht diese Autorin einen anderen Weg, karikiert die pessimistische Grundaussage ihres Romans in der Figur des an Weltekel erkrankten Polizisten und geht ihr Thema insgesamt mit dem souveränen Duktus ironischer Abgeklärtheit an. So passiert beim Lesen wundersamerweise beides: Einerseits scheint alles so trostlos, dass man an dieser Welt und diesen Leuten verzweifeln sollte, andererseits ist es immer eine Freude, intelligent unterhalten zu werden. KATHARINA GRANZIN
Sabine Deitmer: „Perfekte Pläne“. Krüger Verlag, Frankfurt am Main 2007, 366 Seiten, 17,90 Euro