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Archiv-Artikel

crime scene Ein Autor mit einem überragenden Gespür für Spannung: „Verdammnis“ von Stieg Larsson

Diese Heldin ist schon ungewöhnlich. Lisbeth Salander ist ungefähr einen Meter fünfzig klein, hat eine ungewöhnliche Begabung für Zahlen und Computer und eine Power im schmächtigen Körper, die es ihr ermöglicht, auch Bösewichte außer Gefecht zu setzen, die etwa dreimal so groß sind wie sie selbst. Sie ist die Hauptfigur einer Krimi-Trilogie des schwedischen Journalisten Stieg Larsson, der vor drei Jahren an einem Herzinfarkt starb. Zum Glück für seine Leser konnte er die Trilogie vorher noch beenden. Auf Deutsch ist mit „Verdammnis“ dieses Jahr der zweite Band erschienen, der eher ein wenig weitschweifig beginnt: Wir dürfen Lisbeth Salander auf einer Reise durch die Karibik begleiten, wo sie einen Tornado miterlebt und nebenbei einen Ami unschädlich macht, der seine Frau misshandelt; wir beobachten ihre Rückkehr nach Stockholm, wo sie in aller Heimlichkeit eine neue Wohnung bezieht. Und wir erleben auch die andere Seite, nämlich das Leben ihres alten Partners, des Journalisten Mikael Blomkvist, der für ein kritisches Monatsmagazin arbeitet und mit Lisbeth bereits vorher (in „Verblendung“) einen üblen Verbrecher zur Strecke gebracht hat.

Es wird bis zum Ende dieses Romans dauern, bis die beiden sich wieder im selben Zimmer befinden. Bis dahin laufen der Salander- und der Blomkvist-Strang der Handlung parallel und so allmählich aufeinander zu. Es geschieht auf der einen Seite, dass Lisbeths rechtlicher Betreuer, der ihr vor die Nase gesetzt wurde, als sie wegen asozialen Verhaltens für unmündig erklärt worden war, sein Mündel aus dem Weg räumen lassen will, da sie ihm gefährlich werden kann. Auf der anderen, der Blomkvist-Seite tritt ein freier Journalist an die Redaktion des Magazins heran, um eine brisante Reportage über die Verstrickung bekannter Schweden in den internationalen Frauenhandel zu veröffentlichen. Die Journalisten recherchieren für ein Sonderheft zum Thema und stoßen dabei auf einen ominösen, offenbar hochgefährlichen Hintermann. Doch bevor sie die Identität des Mannes klären können, geschieht ein Doppelmord, für den bald Lisbeth von der Polizei gesucht wird, da auf der Tatwaffe ihre Fingerabdrücke sind. Zu diesem Zeitpunkt hat die Handlung schon beträchtlich an Fahrt gewonnen. Lisbeths Vergangenheit, die bisher recht mysteriös im Dunklen blieb, wird mehr und mehr aufgerollt, da sie, wie sich herausstellt, für den Fall eine Schlüsselrolle spielt. Eine Atempause wird uns jetzt kaum mehr gegönnt bis zum dramatischen Finale.

Der Krimiautor Larsson profitiert sehr von der berufstypisch „flotten Schreibe“ von Larsson, dem Journalisten. Wenn „Verdammnis“ eines ist, dann flott geschrieben. Mit der literarischen Brillanz eines Arne Dahl oder der feinen psychologischen Durchdringung der Figuren, die eine Åsa Larsson beherrscht, können Stieg Larssons Romane zwar nicht mithalten. Zudem stören öfter kleine Schlampigkeiten in der deutschen Fassung – wahrscheinlich gehen Übersetzer und Lektoren bei einem „literarischen“ Krimi einfach motivierter ans Werk. Doch Larssons Gespür für Timing und Spannung ist überragend; sogar seine Action-Szenen können fesseln. Dass sein Romanpersonal aus zum Teil recht überzogen gezeichneten Typen besteht, fällt irgendwann gar nicht mehr auf.

Interessant daran ist, dass das weibliche Personal stark dominiert. Während Larssons Kerle entweder böse oder Langweiler sind, wird bei den Frauen mit der so wehrhaften wie schmächtigen Lisbeth, außerdem unter anderem einer lesbischen chinesischen Kickboxerin und einer intellektuellen Sexbombe von Chefredakteurin eine Bandbreite von positiven bis heldischen Klischees abgebildet, die sowohl Leserinnen als auch Lesern genügend Projektionsflächen bietet. In Schweden weiß man schon seit langem, dass vor allem Frauen Krimis lesen. Aber die Männer sollen ja auch was davon haben. KATHARINA GRANZIN

Stieg Larsson: „Verdammnis“. Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. Heyne, 751 Seiten, 22,95 Euro