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Archiv-Artikel

bücher für randgruppen Ein Kunstkritiker sucht nach Qualität

Die Kunst ist autonom, aber nicht unabhängig. Sie steht in Wechselwirkung mit der Zeit. Dies können Künstler und Kunstkritiker reflektieren. Wer aber ihre neue Unübersichtlichkeit beklagt und durch das Errichten neuer Grenzen beseitigen möchte, muss scheitern oder Gewalt anwenden. Zeit-Kunstkritiker Hanno Rauterberg meint: In den vergangenen Jahren sei die Frage nach der Qualität nicht gebührend gestellt worden. In der Tat: Mit Grausen erinnere ich mich an Damien Hirsts diamantenbesetzten Totenschädel, der als „teuerstes Kunstwerk der Welt“ durch sämtliche seriöse Feuilletons geisterte, um nun verschämt im Finanzteil der SZ zu landen: Dort muss Finanzexpertin Silvia Liebrich erklären, warum Diamanten als Wertanlage kaum geeignet sind. Nebenbei erfährt der Leser, dass der Künstler sein Werk undercover für einen Bruchteil des erwarteten Erlöses zurückgekauft haben soll, um das Nichtaufgehen seines Konzeptes zu kaschieren.

Eigentlich ist ja Marcel Duchamp an allem schuld. Mit seinem Urinoir hat er den Grundstein dafür gelegt, dass heute alles Kunst sein könnte. Und damit auch solche Kunst, die Rauterberg nicht gefällt. Beispielsweise die von Dieter Roth: „Er verklärt den unaufgeräumten Alltag.“ Aha. Oder die von Joseph Beuys. Dessen Vision „einer Kunst, die transformiert bis in das natürlich Kapital hinein“, sei gescheitert, „betrachte man nur den gegenwärtigen Turbokapitalismus“. Das ist ungefähr so, als werfe man den Dadaisten vor, nicht Anarchie und Humor hätten gesiegt, sondern Adolf Hitler und die SA.

Die Spezies des „Weltverbesserers“, meint der Kunstkritiker auf seiner Qualitätssuche, sei aber „glücklicherweise“ am Aussterben. Dabei spürt er nicht, dass er selbst einer ist – zumindest, was die moderne Kunst betrifft. Er träumt das Ideal des edlen Künstlers, der „museale Gewässer“ und „Geldklippen“ umschifft. Solange dieser Held noch nicht geboren ist, naht vorläufige Rettung in Gestalt des aufgeklärten, emanzipierten Betrachters. Nicht das, was der Künstler wolle, sei zukünftig entscheidend, setzt er trotzig nach. Das klingt mehr nach Schmollen als nach Kritik.

Tatsächlich übersieht Rauterberg, dass genau die vermeintliche Grenzenlosigkeit ein fundamentaler Glaube der westlichen Zivilisation war und ist. In der Gewissheit „Wir sind aufgeklärt, frei, rational und selbstbestimmt, alles ist uns möglich!“ ist bereits das Handicap bezeichnet, dass die neuen, unsichtbaren Grenzen markiert. Wo aber genau diese Grenzen aufgezeigt oder attackiert werden, entsteht folglich ein Blindfleck, etwas, was unsichtbar ist und folglich übersehen werden muss – auch in der Kunst. Die geballte Anhäufung und friedliche Vereinigung sich scheinbar widersprechender, individueller Kunstsysteme in Museen, Galerien und auf Messen spiegelt genau den Gestus wider, der heute Individualisten wie Rechtsaußen Schäuble, den „Kunstrebellen“ Meese und seinen Sammler Guido Westerwelle miteinander harmonieren lässt. Statt aber nun zu ordnen, vergrößert Rauterberg das Chaos, das er um sich erblickt. Wie sieht also seine „gute Kunst“ aus? Sie „hebt sich ab, von dem, was ist“. In dieser Erhabenheit verwirrt sich seine Wahrnehmung. Die von ihm geforderten strikten Grenzen zwischen Kunst und Leben brechen jäh auf. So, wenn Rauterberg die Berliner „Raststätte Gnadenbrot“ als „Ready-Made“ und „Kunstraststätte“ bezeichnet – ein Lokal, das weder je ein Ready-Made war noch sich als Kunstwerk verstand. Die Urinoirs auf dem Herrenklo müssen offensichtlich einem Kunstfreund den Spaß am Hirschgulasch verdorben haben. WOLFGANG MÜLLER

Hanno Rauterberg: „Und das ist Kunst?!“. Fischer, Frankfurt am Main 2007, 304 Seiten, 16,90 Euro