bücher für randgruppen : Heinrich Dubels Hubschrauberbuch
Im Schwirrflug zum Nektar
Als „Rosa“ war er in der Kreuzberger Punkszene der Achtzigerjahre bekannt. Später wurde er zu „Heinrich Dubel“, und es ist nicht einmal sicher, ob das sein richtiger Name ist. Auf jeden Fall schleicht er nach einer Empfehlung von Deleuze/Guattari wie ein „rosaroter Panther“ durch die Welt – ist Barbetreiber und Schriftsteller. Und Hubschrauberexperte. Aber kein gewöhnlicher, dessen Begeisterung sich beim Studium des technischen Equipments erschöpft, sondern ein universeller, ganzheitlicher, dabei überbordender, obsessiver, philosophischer und was weiß ich.
Sein Buch beginnt ganz klassisch bei den Definitionen des Hubschraubers. Die Abbildungen dazu aber geben schon einen Einblick in die zahlreichen Möglichkeiten, die der Stoff bietet: Der Hubschrauber als Motiv einer Tätowierung, als Versuchsmodell von Dornier und eine Hubschrauberdarstellung auf einer Relieftafel im Seti-Tempel von Abydos. Wobei Letzteres eigentlich nicht sein kann, die Gravur aber eindeutig hubschrauberhaft ist. Was sonst?
Heinrich Dubel unterscheidet nicht zwischen Vor- und Nachzeit, zwischen U- und E, zwischen trivialer Gegenwart und klassischem Mythos. Alles kann schließlich zu allem werden. Der Hubschrauber zur Schmucktätowierung eines Ureinwohners aus dem südostasiatischen Raum. War für die Hippies der Hubschrauber nicht eine Teufelsfliege? Und auch für die 68er? Apocalypse now!
Eigentlich scheint der Helikopter – was für ein wohlklingendes Wort! – vom Prinzip her eher einer Libelle zu ähneln oder einem Kolibri. Tieren also, die im Schwirrflug an einer Stelle verharren können. Um Nektar aus einer Blüte zu saugen oder etwas genauer zu betrachten. Dieses üppig bebilderte Sammelwerk liest sich tatsächlich am besten im Schwirrflug. In Österreich, so heißt es da, würden Hubschrauber nur mit einem Rotorblatt gebaut werden. Auf diese Weise könne der Helikopter näher an die Felswände fliegen. Und im gleichen Kapitel wird darüber aufgeklärt, dass die Ostfriesen zwei Personen bräuchten, um einen Hubschrauber zu fliegen: Der eine hupt, der andere schraubt.
Im Kapitel „Lärm“ präsentiert Dubel als bekennender Vertreter der Erratik, der Wissenschaft, die allerlei bislang Unverbundenes verbindet, eine lange Sammlung von Zeitungsüberschriften, die sich mit Hubschrauberunglücken und Hubschrauberglücken („Baby im Helikopter geboren“) befassen.
Apropos Unglück und Katastrophe. Auch Karlheinz Stockhausen ist im Buch mit einem ganzen Kapitel vertreten, dem „Helikopter-Streichquartett“, das er im Juni 1996 in Holland mit vier Hubschraubern, Piloten, Streichquartett und Publikum aufführte. Es ist längst nicht so bekannt geworden wie seine Aussagen zum 11. 9. 2001, als er die Aktion vom Anflug und Einschlag der Flugzeuge in das WTC als „größtes Kunstwerk, das es je gegeben hat“ beschrieb. Würde die Welt den globalen Atem anhalten, wenn Stockhausens Helikopter-Komposition und auch seine anderen uraufgeführt würden, hätte er sich vielleicht nicht dazu verleiten lassen, Kitsch mit Kunst zu verwechseln.
Überhaupt scheinen sich auf dem Gebiet der Hubschrauberkunst einige mäßig aufregende Künstler mit Hang zum Größenwahn zu tummeln. Heinrich Dubel ahnt es und betont, dass er sich jeder Bewertung künstlerischer Qualität enthalte. Da ist der schwer erträgliche HA Schult, der 1977 mal ein Flugzeug live über einer Müllhalde in New York abstürzen ließ, und golden lackierte Opels von Hubschraubern durch die Kölner Lüfte transportierte. Oder der Aktionskünstler Flatz, der in Berlin eine ausgeweidete Kuh vom Helikopter warf, um sie, am Boden angelangt, explodieren zu lassen. Erinnerungen an seine Kindheit seien das gewesen, ist nun zu erfahren, als Hütebub Wolfgang auf der Alm der Hubschrauberentsorgung über Felsen zu Tode gestürzter Rinder beiwohnte. Doch auch das passt in dieses Manifest, das der Auffassung ist, dass der Hubschrauber Symbol des freien oder sich befreienden Geistes ist. Es gibt keinen besseren Beweis als Leonardo da Vinci und seine Strömungsversuche, die in die Konstruktionszeichnung eines Spiral-Flügels, das „heliko pteron“ mündeten.
WOLFGANG MÜLLER
Heinrich Dubel: „Helikopter Hysterie Zwo“. Maas Media, Berlin 2003, 312 Seiten, 19 €