bücher für randgruppen : Welt der Steine
Mit besonderer Hingabe wurden in den isländischen Tageszeitungen seinerzeit die Fotos gedruckt, die US-Raumsonden vom Mars zur Erde übermittelten. Insbesondere die Aufnahmen von gewaltigen, einzeln stehenden Steinen fanden großes Interesse. Bekannt ist hier, dass Steine eine Geschichte haben und gelegentlich sogar so etwas wie eine Persönlichkeit. Nicht nur wenn sie Wohnstatt einer Elfensippe sind.
Der Charakter eines Steines kann beispielsweise durch Bewegung, den Transport im wahrsten Sinne des Wortes, geformt werden. In Peter Rothes Buch „Gesteine“ findet sich so eine Metamorphose, anschaulich ins Bild gesetzt durch eine hübsche Zeichnung: Eckige Gesteinsbruchstücke und Minerale werden durch den Transport zunehmend gerundet. Aus Kristallen werden Körner, die natürlich trotzdem kristalline Materie bleiben, aber in der fünften Phase der Zeichenserie eher einer polierten Kartoffel ähneln. Die Wissenschaft hat für ein unregelmäßiges Stück Gestein sogar einen Namen kreiert: angular, während die Endphase des Transportschliffs als „wohlgerundet“ bezeichnet wird und unter dem Namen „Handschmeichler“ allgemein bekannt ist.
Die Entstehung, die Zerstörung und die Umbildung der Gesteine werden in Rothes Wissenschaftswerk auch für den Laien anschaulich in Text und Bild behandelt und sorgfältig in Szene gesetzt. Dabei bietet sich besonders der Basalt an. Heiße Lavaströme erkalten in nur wenigen Tagen zu festem Gestein, das teilweise extravagante Formen entstehen lässt. Lange tobte ein erbitterter Streit der Gelehrten über den Ursprung der Gesteine. Da gab es die Plutonisten, die der Ansicht waren, der Stein entstamme dem Feuer, während die Neptunisten über eine Entstehung aus dem Wasser mutmaßten. Goethe war übrigens überzeugter Neptunist, die alles vernichtenden Naturgewalten, deren Augenzeuge er an den italienischen Vulkanen wurde, beunruhigten ihn zutiefst. Das vulkanisch-revolutionäre Modell war ihm in seiner Plötzlichkeit, Unberechenbarkeit und Unordnung zutiefst zuwider.
Peter Rothes Buch über die „Gesteine“ ist dagegen wohl geordnet. Einleitend behandelt er gesteinsbildende Minerale, untersucht ihre Definitionen und Merkmale, vergibt Schlüssel zu ihrer Unterscheidbarkeit und behandelt auch ihre Namensgebung, die im Übrigen ordentlich chaotisch ist. Da erscheinen Namen aus der Mythologie wie Kobalt, vom Kobold abgeleitet, werden Gesteine nach berühmten Personen benannt wie der Goethit oder nach Fundorten wie Hawaiit. Folgend werden die Gesteinsarten einer Betrachtung unterzogen und ihre Entstehung im Erdkrusten-Recycling betrachtet. Dabei wird dem Granit ganz besonderes Augenmerk zuteil. Schwer einzusortieren in die bereitgestellten Schubladen, erfährt dieser Sonderfall heute, im Zeitalter der Grenzüberschreitungen, eine nicht unberechtigte Aktualität. Ist der Granit eine Art Gender-Gestein? Sicher wird sich noch so mancher Wissenschaftler die Zähne an dieser eminent wichtigen Frage ausbeißen.
Im Kapitel über die geologischen Grundlagen der Gesteinsbildung schaut Rothe schließlich unter die Erdkruste. Da wirbelt das heiße Innere der Erde Magma auf, das durch den unteren Mantel nach oben, bis in die kontinentale Kruste drängt. Eine Reise zum Mittelpunkt der Erde wird vorgenommen. Verwundert stellt man fest, dass in 3.000 Meter tiefen Goldbergwerken in Südafrika für Menschen erträgliche Temperaturen angetroffen werden. Die Theorie der „geothermische Tiefenstufe“ scheint hier nicht richtig zu funktionieren, sodass der Autor in Fortsetzung des Gedankenexperiments zum Schluss kommt, im Erdkern müssten dann 200.000 Grad herrschen – eine Temperatur, die den Planeten längst hätte zerplatzen lassen müssen. Vielleicht hatte Jules Verne ja doch irgendwie recht mit seiner Reise durch die Erde bei moderaten Temperaturen?
WOLFGANG MÜLLER
Peter Rothe: „Gesteine“. Primus Verlag 2005, 192 Seiten, mit 155 farbigen und 24 s/w-Abbildungen, 39,90 Euro