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Archiv-Artikel

bücher für randgruppen Bei Lichtstärke 40 werden wir alle zu Schwänen – Erla Stefánsdóttir wurde endlich ins Deutsche übersetzt

Als ich im Dezember 1994 Erla Stefánsdóttir aufsuchte, um sie für die FR zu interviewen, ahnte ich nicht die Folgen. Wie könnte die elfen- und zwergensichtige Klavierlehrerin aus Reykjavík dem deutschen Publikum nahegebracht werden? Da Erla bereits zwei Elfenlandkarten für die städtische Tourismusbehörde gefertigt hatte, kreierte ich für sie die deutsche Bezeichnung „Elfenbeauftragte“. Rasend schnell pflanzte sich die Wortschöpfung in der Folge durch die Medien fort, von Spiegel über Brigitte, RTL 2 bis zur Bauwelt und dem „ZDF-Morgenmagazin“. Einen Anteil daran hatten sicher auch meine Einladungen als Elfenexperte zu Vera am Mittag, Jürgen von der Lippe, Jörg Pilawa und Barbara Schäfer. Auf jeden Fall verselbstständigte sich das Wort, und irgendwann wurde Erla Stéfansdóttir schließlich sogar „Elfenministerin“ genannt, bei der sich der isländische Präsident Ólafur R. Grímsson gerne Rat wegen der Elfenplage im Hochland hole.

So war es mir ein Bedürfnis, in meinem aktuellen Werk „Neues von der Elfenfront“ die Metamorphose des Mediums in den Medien nachzuskizzieren. Doch – Zufall oder Fügung? – zeitgleich meldet sich Islands bekanntestes Elfenmedium selbst zu Wort. Im Esoterikverlag Neue Erde erschien soeben mit „Lebenseinsichten der isländischen Elfenbeauftragten“ eine deutsche Übersetzung des Werkes „Lifssyn min“, das Erla in Island noch selbstfinanziert im Selbstverlag herstellen musste. Erla wurde so erstmals ein eigenes Forum für ihre Visionen in Deutschland geboten.

Eingangs entschuldigt sich der Lektor, dass der Begriff „Elfenbeauftragte“ durch „Medienbeiträge“ hierzulande eingebürgert sei: „Erla ist aber keine regierungsamtliche Institution.“ Sicherlich hat die isländische Botschaft in Berlin einfach die Schnauze voll gehabt von den vielen deutschen Anrufern, die Kontakt zum Elfenministerium erbeten hatten. In „Lifssyn min“ spricht Erla in und mit tausend Zungen. Sie vereint den Philosophen Plato mit Jesus Christus, verbindet Mohammed mit Beobachtungen von Ufos und Elfen. Ihre Weltansicht ist trotzdem sehr harmonisch, zuweilen gar homogenisierend. Lichtwesen mit anthroposophischer oder theosophischer Färbung treffen auf Energieströme in vielen Farben. So beseelen sich die einst leeren, toten Dinge. Erla füllt und sakralisiert sie.

In ihrem Kosmos dominieren Strahlen, Aura und Lichterscheinungen. Bei „Lichtstärke 40“, so Erla, werden wir alle in Schwäne verwandelt. Unser ursprüngliches Aussehen, die Hautfarbe spiele dabei keine Rolle. Nun ist der Schwan, isländisch álft, nicht nur mit dem Elf, álf, etymologisch eng verwandt, sondern auch mit dem Wort albus, weiß. Und so fragt sich, warum der vollkommene Mensch denn immer weiß und lichthell sein sollte. Könnte die reine Seele zur Abwechslung nicht auch mal grün, schwarz oder blau sein?

Erlas Weltsicht basiert auf der Akzeptanz des Bestehenden. Sie ist weder verrückt noch revolutionär. Doch während sie Islands Licht- und Energieströme aufspürt und an neuen Mythen strickt, besteht natürlich die Gefahr, dass ihre Jünger sich entleeren bis zur Handlungsstarre, um die Beseelung der Welt zu erspüren. Vielleicht aber auch nicht: Drei gelbe, offene Lichtpunkte, von Erla ertastete „Gedankenformen“, schweben harmonisch über dem „demokratisch gewählten Präsidenten“. Doch auch „Der amerikanische Präsident“ ist ja auch irgendwie demokratisch gewählt worden. Warum verweigert ihm Erla zwei Lichtpunkte? Nun, Erla selbst ist an anderer Stelle verwundert: warum über dem isländischen Regierungssitz eine ähnliche unsichtbare Gedankenform liege wie über dem staatlichen Gefängnis auf dem Skólavördustigur. Mein derzeitiger Assistent Hrafnkell, einer der drei weltweit existierenden isländischen Queerpunks (die beiden anderen, Rósi und Bogi, wohnen in Kristiana), findet das überhaupt nicht verwunderlich, sondern völlig logisch. WOLFGANG MÜLLER

Erla Stefánsdóttir: „Lifssyn min“. Verlag Neue Erde, Saarbrücken 2007, 206 Seiten, 26,80 Euro